Im Selbstverteidigungskurs lehrt Trainerin Silvia Bren den Mädchen, wie sie Gewalt begegnen und sie mit wenigen Handgriffen abwehren können.
Mit der Hand ein richtiges Stück Holz entzwei zu schlagen – das kennen die Viert- bis Sechstklässlerinnen der Schule Dietikon bisher nur aus Filmen. Doch nun sollen die Mädchen genau das in ihrem Selbstverteidigungskurs in der Turnhalle selber tun. Die Schülerinnen blicken Trainerin Silvia Bren ungläubig an. Diese versichert ihnen: «Wenn ihr es wollt, könnt ihr es.»
Nach kurzem Zögern meldet sich Aiatallah als Erste freiwillig. Bren lässt sie eine Faust ballen und überprüft, ob sie genug Spannung hat. «Denk an etwas, das dich wütend macht und konzentriere dich nur auf dich», sagt sie leise. Der Arm der Elfjährigen schnellt in die Luft und trifft zielsicher auf dem Brett auf, das sofort auseinanderfällt. Die Runde applaudiert, Aiatallah strahlt.
Bren ist nicht nur Trainerin der Interessensgemeinschaft Pallas, sondern auch deren Präsidentin. Ziel der Organisation ist die aktive Gewaltprävention und das Stärken von Selbstvertrauen bei Mädchen und Frauen. «Jedes fünfte Mädchen hat bereits sexuelle Gewalt erfahren. Das sind die Zahlen, gegen die wir ankämpfen», sagt die Dietikerin. In den Selbstverteidigungskursen lernen Mädchen und Frauen, wie sie sich in Notsituationen zur Wehr setzen können.
Direkt, aber niemals aggressiv
Idealerweise besuchen um die zwölf Teilnehmerinnen einen Kurs. So kann Bren auf jede von ihnen individuell eingehen. Sie versucht zu erkennen, wovon die Mädchen jeweils am meisten profitieren könnten. «Bei gewissen Kindern ist mein Ziel nur, dass sie mir direkt in die Augen blicken können. Bei anderen schule ich, dass sie von sich aus sagen können, wenn sie etwas stört.» Wichtig sei, dass die Mädchen wüssten, was sie wollen und das auch sagen können. «Klar und direkt, aber niemals aggressiv», so die ausgebildete Pallas-Selbstverteidigungsexpertin.
Pallas feiert dieses Jahr das 20-jährige Bestehen. Das Leitungsteam arbeitet ehrenamtlich, die Infrastruktur wird über Passivmitgliedschaften finanziert. Bren verdient ihren Lebensunterhalt mit Selbstverteidigungs- und Kampfsportlektionen sowie Referaten gegen sexuelle Gewalt. Die Organisation Pallas bildet Kampfsportlerinnen und andere Interessierte in frauen- und mädchenspezifischer Selbstverteidigung aus. Jede von ihnen unterrichte eine andere Altersgruppe am liebsten, so Bren.
Sie selbst schätzt vor allem die Arbeit mit Teenagern. «Die Schülerinnen kommen manchmal demotiviert in die erste Stunde und blühen dann regelrecht auf», sagt sie. Die Arbeit mit ihnen sei jedoch auch eine Herausforderung. Das Thema sexuelle Gewalt spiele in diesem Alter eine grosse Rolle. «Ich bekomme jedes Mal Gänsehaut, wenn ich mir die Geschichten der Jugendlichen anhöre», so Bren.
Im Schulsportkurs in Dietikon lernen die Mädchen an diesem Nachmittag neben dem Holzzerschlagen verschiedene Schlag- und Abwehrtechniken. Bren gibt den Schülerinnen klare Anweisungen und greift ein, wenn die Schläge noch nicht korrekt ausgeführt werden. Jedes Mädchen soll dabei ihrer Partnerin sagen, wo die Grenzen liegen. Mit einem «Stopp» oder «Geh weg» kann der Angriff jederzeit abgebrochen werden.
Die 11-jährige Belina ist froh, dass sie sich dank den Verteidigungskursen im Schulhaus Steinmürli zur Wehr setzen kann, wenn ihr jemand zu nahe kommt. «Ich konnte das Erlernte schon anwenden, als mich ein Junge schlagen wollte», sagt sie. Durch die Teilnahme am Kurs habe sie mehr Selbstvertrauen gewinnen können.