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Limmattal
Vor 14 Jahren besuchte Claudia Minet zum ersten Mal den Tai-Ji- und Qi-Gong-Unterricht von Rita Wyss. Das hat ihr Leben verändert.
Für Claudia Minet war 2002 ein schwieriges Jahr. Die heute 51-Jährige hatte auf einmal Atemprobleme und kämpfte mit Müdigkeit. Die Ärzte tappten ein halbes Jahr lang im Dunkeln. Als man endlich durch Ultraschall herausfand, dass sie aufgrund einer Virusinfektion herzkrank wurde, konnten die richtigen Medikamente eingesetzt werden. Dass es so lange dauerte, um die richtige Diagnose zu stellen, habe wohl daran gelegen, dass die Ärzte das Gefühl hatten, sie sei eine überforderte Hausfrau gewesen, sagt die Mutter zweier erwachsener Söhne heute. «Ich verlor etwas Vertrauen in die Welt und fühlte mich nicht ernst genommen.»
Zusätzlich zur medikamentösen Behandlung ging die Geroldswilerin in die Akupunktur. Der dortige Arzt gab ihr den Rat, etwas zu machen, das ihr guttue. Dem ist sie gefolgt. 2003 nahm die gelernte Verkäuferin zum ersten Mal Tai-Ji- und Qi-Gong-Unterricht bei Rita Wyss im Dietiker Chi-Zentrum. Die in China entwickelte Kampfkunst sollte ihr Leben verändern. «Die Lektionen sind bei mir sehr gut angekommen. Im Unterricht ist jeder für sich mit seiner eigenen Geschichte. Das gefällt mir», sagt Minet.
Eine Lektion fängt jeweils mit einer fernöstlichen Geschichte an, die Wyss vorliest. Die Bewegungsübungen, die zur Aktivierung und Regulierung der Energien beitragen und Energieblockaden lösen sollen, gehen von Naturbildern aus. «Stehen wie eine Kiefer» ist eine der Basisübungen. Man steht dabei mit den Füssen wie die Wurzeln der Kiefer tief mit der Erde verbunden auf dem Boden und gleichzeitig ragt der Scheitel wie die Baumkronen in den Himmel. Eine andere Grundform heisst «Flügel ausbreiten wie ein Kranich».
Claudia Minet, Tai-Ji-Schülerin
Für Minet ist klar, dass Qi-Gong und Tai-Ji ihr nicht nur bei der Genesung geholfen haben, sondern sie auch heute noch im Arbeitsalltag unterstützen. Seit 2010 arbeitet sie als Flughafenangestellte. «Wenn ein Passagier verärgert ist, weil er den Flug verpasst hat, versuche ich, in meine Mitte zu kommen, indem ich meine Hand in die Magengegend lege. Diese Qi-Gong-Übung beruhigt, weil man auf diese Weise den eigenen Atem wahrnimmt», sagt sie. Auch in hektischen Zeiten könne sie dank Qi-Gong und Tai-Ji besser Ruhe bewahren, etwa wenn Passagiere in Scharen auf sie zuströmten, dann gehe sie mental und physisch in die Position «Stehen wie eine Kiefer», damit sie fest mit dem Boden verbunden bleibe und der Menschenstrom sie nicht überflute.
«Die Übungen im Tai-Ji und Qi-Gong helfen im Alltag vor allem, wenn man die Disziplin hat, regelmässig zu üben und dranzubleiben. Denn in dieser Sportart ist dranbleiben überhaupt das Wesentliche», sagt Lehrerin Rita Wyss, die den Sport seit 21 Jahren praktiziert. Ab und an liest sie die Geschichte «Wang und seine Kreise» im Unterricht vor.
Darin malt Wang, der Kalligrafie macht, jeden Tag einen Kreis. Der Kreis gilt in der Kalligrafie als etwas sehr Schwieriges, wenn nicht als die schwierigste Form überhaupt. Manchmal gelingt es ihm besser, manchmal weniger. Doch er hört nicht auf, täglich Kreise zu malen, egal ob er Fortschritte oder Rückschritte macht.
Rita Wyss, Tai-Ji-Lehrerin
«Das Fazit der Geschichte ist eben das Dranbleiben», sagt Wyss. Nicht ganz zufällig erklärt Minet «Wang und seine Kreise» zu einem ihrer Lieblingstexte aus dem Fernen Osten. Die Geschichte erinnere sie daran, wie wichtig es sei, im Hier und Jetzt zu sein. «Auch wenn man Tai-Ji und Qi-Gong macht, ist im Leben nicht alles heilig, denn man hat immer noch sein Wesen und Temperament», relativiert die Schülerin und lacht.