Islam im Alltag
«Muslime vertreten keine anderen Werte»

Im Gespräch: Belkis Osman-Besler, Vize-Präsidentin der Vereinigung Islamischer Organisationen Zürich (VIOZ), Rifa’at Lenzin, freischaffende Islamwissenschaftlerin und Markus Notter, Präsident Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz.

Jürg Krebs, Bettina Hamilton-Irvine, Sophie Rüesch und Jiri Reiner (Fotos)
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Belkis Osman-Besler, Rifa’at Lenzin und Markus Notter.

Belkis Osman-Besler, Rifa’at Lenzin und Markus Notter.

Jiri Reiner

Die Anschläge von Paris stellen einmal mehr die Muslime in der Schweiz unter Generalverdacht. Muslime beklagen aber seit längerem ein Klima des Misstrauens. Wie äussert sich dies?

Rifa’at Lenzin: Ich nehme dies anders wahr als andere Muslime, weil ich mich als Islamwissenschaftlerin beruflich mit dem Thema beschäftige. Doch ich erhalte Briefe und Mails, in denen Schweizer Muslimen zum Beispiel vorgeworfen wird, Schläfer zu sein, also eines Tages einen Terrorakt zu verüben. Und von christlich-evangelikaler Seite werde ich oft aufgefordert, ich müsse doch endlich die Wahrheit von Christus anerkennen.

Belkis Osman: Nach Anschlägen werde ich auf der Strasse schief angeschaut oder beleidigt. Das ist je nach Tagesform belastend. Ich frage mich: Was habe ich diesen Menschen getan? Ich bin in der Schweiz aufgewachsen und muss büssen für Verbrecher, mit denen ich nichts zu tun habe.

Fühlen Sie sich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt?

Osman: Ja. Für mich habe ich akzeptiert, dass ich als Zweitgenerationenkind immer die Ausländerin bleibe. Ich frage mich aber, wann unsere Familie endlich als Teil der Gesellschaft anerkannt wird. Erfahren dies erst meine Kinder oder deren Kinder? Das wäre sehr schade.

Belkis Osman (3. v. l.), Rifa’at Lenzin und Markus Notter vor dem Interview mit den Redaktorinnen Sophie Rüesch, Bettina Hamilton-Irvine sowie Jürg Krebs.

Belkis Osman (3. v. l.), Rifa’at Lenzin und Markus Notter vor dem Interview mit den Redaktorinnen Sophie Rüesch, Bettina Hamilton-Irvine sowie Jürg Krebs.

Jiri Reiner

Was irritiert die Menschen an Ihnen, die sichtbare Religionszugehörigkeit?

Osman: Das Andersartig-Sein. Muslime haben es doppelt schwer, weil sie nicht nur als Ausländer gelten, sondern auch noch einer anderen Religion angehören.

Die Chance für den gesellschaftlichen Aufstieg ist aber vorhanden.

Lenzin: Das ist die grosse Frage. Lässt man die Muslime an der Gesellschaft so partizipieren, wie es andere Einwanderergruppen konnten?

Sie sind skeptisch?

Lenzin: Ja. Weil das vom gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld abhängt. Das Wirtschaftliche ist jetzt noch gut, die Arbeitslosigkeit tief. Aber was ist, wenn sich dies ändert? Gesellschaftlich werden Muslime nicht voll akzeptiert, zum Teil wegen der Religion. Die Menschen aus dem Balkan sind aufgrund ihrer Herkunft sogar doppelt stigmatisiert. Studien belegen etwa, dass sie bei der Suche nach Jobs oder Wohnungen benachteiligt werden.

Mit welchen Folgen?

Lenzin: Die Leute können nicht erreichen, was sie sich wünschen. Perspektivlosigkeit ist keine gute Ausgangslage. Grundsätzlich gilt: Je durchlässiger und offener eine Gesellschaft ist, je mehr sie Migranten und im Speziellen Muslime partizipieren lässt, desto mehr integrieren sich diese und passen sich dem Schweizer Durchschnitt an.

Von Offenheit ist derzeit aber wenig zu spüren.

Lenzin: Ja. Wie sich das entwickelt und mit welchen Folgen, werden wir erst in einigen Jahren sehen.

Perspektivlosigkeit ist gefährlich.

Lenzin: Je mehr Sie Leute ausgrenzen, je mehr die jungen Leute das Gefühl haben, dass sie hier keine Zukunft haben, weil sie Muslime sind, desto mehr schafft man sich die Radikalen von morgen.

Markus Notter: Ich sehe das etwas weniger pessimistisch. In meinem Umfeld stelle ich immer wieder fest, dass diese Hindernisse überwunden werden. Dass man zwar Mühe hat, eine Lehrstelle zu finden, aber dann doch eine findet. Ich möchte aber noch ein anderes Problem ansprechen.

Bitte.

Notter: Wir sprechen immer von «den Muslimen». Dabei ist das ja eine sehr heterogene Gruppe. Es ist uns nie in den Sinn gekommen, Italiener, Spanier und Portugiesen als «die Katholiken» zu bezeichnen. Die Religion ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal für eine Person, für eine Gruppe – aber sie ist nicht das einzige.

Osman: In meinem türkischen Umfeld steht nicht die Religion im Vordergrund, sondern die Herkunft. Es heisst nicht, ich sei Muslimin. Ich bin eine Türkin.

Wieso sprechen wir denn von Muslimen und nicht von Nationalitäten: Kosovaren, Türken, Bosniern?

Lenzin: Bis zum 11. September 2001 waren sie Türken, Jugoslawen, Araber. Danach hat man begonnen, sie nur noch als «Muslim» zu definieren.

Was hat dieser Terroranschlag in der Wahrnehmung verändert?

Lenzin: Der Fremdheitsdiskurs hat begonnen. Muslime wurden plötzlich als fremd und potenziell gefährlich empfunden. Verstärkt wurde das Bedrohungsszenario noch dadurch, dass damals gerade die Zahlen der Volkszählung vom Jahr 2000 bekannt wurden, die eine Verdoppelung der Anzahl Muslime innert zehn Jahren aufzeigten. Dieser Fokuswandel von der Ethnie zur Religion hat sich gesamteuropäisch vollzogen. Man will den Muslimen keine andere Identität als die religiöse mehr zugestehen. Das hat bereits jetzt Auswirkungen bei jungen Leuten.

Welche?

Lenzin: Während meiner Jugend in Bern musste ich mir nicht ständig über die Religion Gedanken machen, auch wenn ich aus einem Umfeld stammte, in dem Religion immer ein Thema war. Heute sind junge Leute – nicht aus eigenem Antrieb, sondern wegen der Vorurteile – ständig damit konfrontiert: Wer bin ich denn eigentlich? Warum werde ich als Muslim wahrgenommen? Wie stehe ich zur Religion? Was ist meine Religion?

In der Schweiz wird über Minarette, Burka und Kopftuch oder Schwimmdispens diskutiert. Die Argumente sind bekannt. Finden Sie sich in dieser Diskussion wieder?

Lenzin: Nein. Wir müssten vielmehr über die staatliche Anerkennung der Muslime als Religionsgemeinschaft diskutieren.

Warum, wenn die Religion selbst bei Muslimen keine vordringliche Rolle spielt?

Lenzin: Im schweizerischen System, welches das Verhältnis von Religion und Staat regelt, sind die Muslime bislang nicht eingebunden. Man muss eine Form finden, die auch den Minderheiten Rechnung trägt.

Herr Notter, Sie haben sich in Ihrer Zeit als Zürcher Regierungsrat für eine Anerkennung starkgemacht.

Notter: Wir haben 2003 eine Vorlage präsentiert. Wir haben lange daran gebastelt — im Nachhinein muss ich sagen: zu lange. Wären wir drei Jahre früher fertig gewesen, vor dem 11. September 2001: Wer weiss, ob das Stimmvolk die Vorlage so wuchtig verworfen hätte. Die Gegenkampagne lautete: «Kein Steuergeld für Koranschulen» – die Stimmung war zu diesem Zeitpunkt ziemlich aufgeheizt. Eine unheilige Allianz von fremdenfeindlichen, rechtsnationalistischen Kreisen und Befürwortern einer vollständigen Trennung von Kirche und Staat hat der Vorlage den Rest gegeben.

Was bringt der Gesellschaft eine Anerkennung der Muslime?

Notter: Die Katholiken im Kanton Zürich sind hierfür ein gutes Beispiel. Die katholische Bevölkerung war lange Zeit auch eine Migrantenbevölkerung: Sie kam zuerst aus der Innerschweiz, dann aus dem benachbarten Ausland und gehörte einer ähnlichen sozialen Schicht an wie die Muslime heute. Auch die Katholiken haben sich erst voll zugehörig gefühlt, als sie 1963 als Religionsgemeinschaft anerkannt wurden. Das hat eine gewisse Selbstverständlichkeit geschaffen: Die Katholiken gehören seither dazu.

Im Umkehrschluss heisst das: Heute gehören Muslime nicht dazu?

Notter: Das kann man so auslegen, man darf gleichzeitig aber auch nicht alle Hoffnungen auf diese Anerkennung fokussieren. Es gibt auch andere Punkte, über die man sprechen muss.

Die da wären?

Notter: Etwa die Frage der muslimischen Grabfelder auf den Friedhöfen – eine schändliche Angelegenheit, denn es bräuchte nur minime Anpassungen, um das Problem zu lösen. Doch mit Ausnahme von Zürich und Winterthur tun die Gemeinden sich unglaublich schwer damit. In Schlieren wurde ein Antrag des Stadtrates unter anderem mit dem unsäglichen Argument abgelehnt, muslimische Grabfelder würden dem Image schaden. Das zeigt, wie wenig Wertschätzung und Respekt in dieser Diskussion vorhanden ist.

Ist nicht die Frage der Bestattung und der Anerkennung selbst bei Muslimen nur für eine Minderheit wichtig?

Lenzin: Die Frage betrifft alle, ob sie nun religiös sind oder nicht. Es gibt viele Leute, die sich ihr ganzes Leben lang kaum um ihre Religion kümmern, aber wenn es ums Sterben geht, werden sie plötzlich furchtbar fromm. Dann möchten sie regelkonform bestattet werden. Doch den meisten wird das verwehrt.

Notter: Über die Bestattungsfrage hinaus gilt es auch Fragen im Bereich der Schulen, Spitäler und Gefängnisse zu klären, wie ein Bericht zeigt, den der Kanton vor einigen Jahren in Auftrag gab. Doch in vielen Punkten haben wir seit 2008 wenig bis nichts gemacht.

Warum nicht?

Notter: Der politische Druck ist nicht da. Im Gegenteil: Fremdenfeindliche Parolen kommen gut an.

Muss man diese generelle ablehnende Haltung akzeptieren?

Notter: Nein, denn wie man mit den Muslimen umgeht, geht man irgendwann auch mit den Juden, den Schwarzen, den Sans-Papiers um. Auch Sozialhilfeempfänger trifft dieser Druck, der zurzeit gegen Abweichende, gegen sozial Schwächere aufgesetzt wird. Diese politische Masche funktioniert gut, obwohl sie letztlich der ganzen Gesellschaft schadet. Das schafft eine Stimmung, in der niemand wagt, zu protestieren. Wer sich nicht dagegen wehrt, wenn Minderheiten dermassen verfemt werden, wird feige – und manipulierbar. Deshalb muss man sich für Respekt und Anstand gegenüber Minderheiten einsetzen.

Wer muss sich dafür einsetzen?

Notter: Die rechtskonservativen Parteien werden es nicht machen. Aber ich würde mir wünschen, dass alle anderen hinstehen und sagen: So nicht. Dass auch die Bürgerlichen und die Mitteparteien zum Beispiel in der Friedhofsfrage Hilfe leisten. Alles andere ist eine feige Haltung, die man nicht durchgehen lassen darf. Auch die Medien müssen hier den Warnfinger erheben.

Zurzeit haben es Minderheiten schwer in der Schweiz, weil sie bis weit in die Mitte hinein Ablehnung finden.

Notter: Ja, doch dagegen muss man ankämpfen. Man muss der Gesellschaft zeigen, dass sie sich damit in Geiselhaft dieser rechtsnationalen Kreise begibt. Das zeigt sich heute schon: Es gibt Politiker, die sich nicht trauen, ihre Meinung kundzutun, aus Angst, diffamiert zu werden und Wähleranteile zu verlieren.

Sind diese 30 Prozent mittlerweile nicht zur Mehrheit angewachsen?

Notter: Menschen sind beeinflussbar. Sehen Sie: Wenn Durchschnittsschweizer mit Durchschnittsmuslimen Kontakt haben, verhalten sich diese wahrscheinlich ganz anständig und normal. Man kann die Leute aber auch verhetzen, sie aufwiegeln mit den immer gleichen Themen.

Frau Osman, welche Themen müssen aus Ihrer Sicht öffentlich diskutiert werden?

Osman: Die staatliche Anerkennung des Islams ist auch für mich ein wichtiges Anliegen und das nicht nur im Hinblick auf religiöse Muslime, die ja nur eine Minderheit ausmachen. Auch sogenannt nicht-religiöse Muslime haben Berührungspunkte mit religiösen Themen, etwa bei der Geburt, der Heirat oder dem Tod. Dass muslimische Friedhöfe keine Selbstverständlichkeit sind, belastet mich. Ich bin zwar hier geboren und aufgewachsen, habe hier gearbeitet und Steuern bezahlt, doch im Tod bin ich hier unerwünscht. Das gibt mir nicht das Gefühl, dazuzugehören. Sorgen mache ich mir aber vor allem um die nächsten Generationen. Die müssen sich doch mit der Schweiz identifizieren können – ganz. Weil sie sich hier nicht ganz willkommen fühlen, leben viele in zwei Welten. Das ist psychisch nicht tragbar.

Welche Werte teilen Muslime und Christen?

Osman: Die ganze Art, zu leben. Man besucht die öffentlichen Schulen, arbeitet, zahlt Steuern, befolgt die Gesetze. Im Privaten kann es durch den Glauben andere Riten, andere Gewohnheiten geben. Aber im Grossen und Ganzen unterscheiden wir uns nicht vom Schweizer Durchschnitt.

Lenzin: Die Wertediskussion ist auch so ein typischer Diskurs, der Muslimen von aussen zugeschrieben wird. Es wird postuliert, die Muslime hätten andere Werte als die Schweizer. Doch: Weder definiert man diese Werte noch fragt man die Muslime, ob sie diese teilen. Es ist immer die Rede von Schweizern und Muslimen – was impliziert, dass Muslime nicht Schweizer sein können, auch wenn ein Drittel von ihnen Schweizer Bürger ist.

Für Sie hat eine Diskussion über Werte also nie eine Rolle gespielt?

Lenzin: Die ganze Diskussion über Werte ist ein aufgezwungener, künstlicher Diskurs. Muslime vertreten nicht andere Werte.

Notter: Die Frage nach den Werten ist überhaupt ein ganz heikle. In diesem Land gilt Glaubens- und Gewissensfreiheit. Natürlich muss man die Rechtsordnung einhalten. Aber alles andere ist eine zivilgesellschaftliche Frage. Die Wertediskussion hat sehr schnell einmal etwas Doktrinäres.

Also ist die Diskussion obsolet.

Notter: Wenn man sie schon führen will, sollte man konkreter werden: Was meint man denn genau, wenn man von verschiedenen Werten spricht? Es ist nicht das schweizerische Konzept, dass wir allen Menschen einen Wertekatalog vorschreiben. Das schweizerische Konzept ist, dass es diverse Gruppen und Minderheiten gibt, die sich darauf einigen, im Rahmen der Rechtsordnung zusammenzuleben.

Sehen Sie dieses schweizerische Konzept in Gefahr?

Notter: Zumindest ist die dauernde Forderung nach Werten neu. Sie ist auch im Einbürgerungsdiskurs aufgekommen, diese Idee, dass man quasi ein Glaubensbekenntnis ablegen muss.

Was befeuert diese Diskussion?

Notter: Das Fremde verunsichert und das Fremde macht Angst. Deshalb muss es auch herhalten, damit wir Probleme und Ängste, die in unserer eigenen Gesellschaft vorhanden sind, in das Fremde hineinprojizieren können.

Lenzin: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Bei diesen Zuschreibungen handelt es sich um Projektionen und eben nicht um Äusserungen, die von den Muslimen in der Schweiz ausgehen.

Welche Rolle spielen die Medien in diesem ganzen Diskurs?

Osman: Die Diskussion in den Medien war in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren nicht gerade erbauend. Die Muslime sind vor allem dann präsent, wenn in der Welt etwas geschehen ist, das Angst macht. Das kreiert eine negative Stimmung.

Haben Sie das Gefühl, dass über Sie gesprochen wird, statt mit Ihnen?

Osman: Auf jeden Fall. Direkt angesprochen werden wir vor allem dann, wenn wir Stellung beziehen sollen zu einem Vorfall in der Welt, über den wir im Normalfall auch nicht mehr wissen als Schweizer Christen.

Was denken Sie, wenn Sie sich für einen Anschlag von islamistischen Terroristen rechtfertigen müssen?

Osman: «Nicht schon wieder.» Ich weiss schon gar nicht mehr, wie oft ich in den letzten Jahren Gewalt verurteilt habe.

Lenzin: Diese Rechtfertigungsrhetorik hat etwas sehr Fragwürdiges. Wer eine Distanzierung erwartet, impliziert ja doch, dass zumindest eine Sympathie für das Attentat da sein könnte, sonst würden nicht solche Forderungen gestellt. Und das finde ich eine Zumutung.

Also schweigen?

Osman: Ich sage jeweils, dass ich nicht daran denke, mich von solchen Taten zu distanzieren, weil sie mich nämlich überhaupt nichts angehen.

Lenzin: Ich kann mich nur für Fehler entschuldigen, die ich gemacht habe. Ich frage die Leute manchmal, ob sie reformiert oder katholisch sind und ob sie sich nach einem Anschlag in Nordirland auch bei ihrem Nachbar davon distanziert hätten. Das ist doch absurd.

Notter: Ich habe nur einen Einwand: Mit diesen Attentaten wird das Bild vermittelt, dass der Islam eine gewalttätige Angelegenheit sei. Das ist eine Beschädigung Ihrer Religion. Dass Sie daher immer wieder erklären, wie Sie den Islam verstehen, finde ich hilfreich. Ansonsten setzt es sich in den Köpfen fest, dass es diesen Zusammenhang gibt.

Lenzin: Trotzdem: Es müsste doch jedem klar sein, dass Menschen, die solche Terrorakte ausüben, einfach Kriminelle sind, ob sie sich nun auf den Islam berufen oder nicht.

Wie hilfreich ist es, wenn Menschen, die etwas über den Islam erfahren wollen, den Koran konsultieren?

Lenzin: Mit dem Koran kommen Sie nicht weiter. Mittlerweile hat man aber das Gefühl, die Schweiz sei voll von Koran-Gelehrten. Wem der Hintergrund fehlt, für den ist die Auseinandersetzung mit dem Koran ganz schwierig. Er ist nicht einfach zu verstehen. Wer sich informieren will, soll lieber eine Koraneinführung oder ein Buch über die Geschichte des Islams lesen.

Osman: Es gibt diese Vorstellung, dass jeder Muslim mit dem Koran herumspaziert und diesen an jeder Ecke konsultiert, um herauszufinden, wo er nun abbiegen soll. Ich schätze, dass 1,5 Milliarden der weltweit rund 1,6 Milliarden Muslime den Koran inhaltlich nicht kennt. Wir konsultieren Gelehrte oder Interpretationen, wenn wir religiöse Fragen haben.

Der Bundesrat schlägt vor, man solle nicht so viel über Religion reden, sondern über Integration.

Lenzin: Das ist eine selektive Interpretation seiner eigenen Studie. Die Autoren des Berichtes, den der Bundesrat in Auftrag gegeben hatte, weisen mehrmals darauf hin, dass es von zentraler Wichtigkeit sei, dass man den migrationspolitischen Kontext ganz klar vom religionspolitischen trennen müsse. Doch darauf geht der Bundesrat in seiner Pressemitteilung in keiner Art und Weise ein. Er beschränkt sich darauf, zu sagen, die Muslime seien gut integriert. Es wird zwar anerkannt, dass die Anerkennungs- und die Seelsorgeproblematik eine Diskriminierung darstellen. Trotzdem lässt der Bundesrat dieser Einsicht keine Taten folgen.