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Limmattal
Ein Meisterkurs mit einem wahren Meister: Im Rahmen der Orgelfesttage führte der renommierte deutsche Kirchenmusiker Wolfgang Seifen eine Gruppe von Musiker in die Kunst des Improvisierens ein.
Wenn der Meister ruft, dann kommen sie: Aus der ganzen Schweiz waren sie angereist, die 20 Männer und Frauen, welche diese Woche im Rahmen der Schlieremer Orgelfesttage die Gelegenheit wahrnahmen, bei Wolfgang Seifen einen Meisterkurs zu besuchen. Seifen, ein renommierter Kirchenmusiker, ist Professor für Improvisation und Liturgisches Orgelspiel an der Universität der Künste in Berlin. Er ist ein wahrer Improvisationsspezialist – und genau diese Kunst wollte er den Teilnehmenden in Schlieren näherbringen. Der Kurs begann morgens um 9 Uhr in der reformierten Kirche. Dass es ein langer Tag würde, wussten alle schon vorher, wie reich er würde, stellte sich bald heraus.
Einführend erklärte Seifen wichtige Grundsätze zum Improvisieren: «Der Ton muss natürlich bleiben, dennoch fantastisch» oder «Wenn Sie improvisieren, belasten Sie immer auch die Zuhörenden» und «Verschiessen Sie das Pulver nicht zu schnell, beginnen Sie verhalten, aber haben Sie den Mut, aus einer Melodie rauszugehen.»
Danach begann seine einfühlsame Begleitung jeder einzelnen Person im Kurs. So unterschiedlich die Teilnehmenden, so unterschiedlich waren auch die Werke, die sie als Grundlage für ihre Improvisation gewählt hatten. Während sich die einen vorbereitet hatten, wagten andere eine Improvisation auf ein Kirchenlied. Ein Mann, der Schuhe in der Grösse 47 trug, streifte diese lachend ab, um nicht zu viele Fusspedalen aufs Mal zu erwischen.
Mucksmäuschenstill wurde es, als der Meister aus seinem Leben zu erzählen begann. Da der Vater Schicht arbeitete und die Mutter im Kirchenchor sang, sei er sozusagen in der Kirche aufgewachsen, sagte Seifen. Dem Zweijährigen stellte man neben der Orgel einen Schemel hin, wo er gebannt dem Orgelspiel lauschte. Als Zehnjähriger spielte er zum ersten Mal selbe in der Kirche. Man hatte seine Begabung erkannt und schickte ihn zu den Regensburger Domspatzen. Ein Bruch der behüteten Kinderzeit geschah, als er, erst elfjährig, den Vater verlor und aus finanziellen Gründen die Domspatzen verlassen musste. Nichtsdestotrotz diente der Jugendliche als Organist und begann sein Orgelstudium mit sechzehn Jahren. Mit achtzehn schloss er das Diplom ab und wenig später konnte er in Düsseldorf das A-Diplom entgegennehmen.
Improvisationen, deren Existenz kurz und einmalig sei, nennt Seifen: kleine Kompositionen, die im Kopf stattfänden, nicht aufgeschrieben würden und deshalb vergänglich seien. Da und dort gab der Meister denen, die grad auf der Orgelbank sassen, einen Rat: zum Beispiel, wo welche Register zu ziehen waren, Licht eher mit hellen Flöten spielen, Ruhe mit tiefen langgezogenen Tönen. Wertvoll gab er Tipps wie «Nehmt die Eigenheit des Komponisten mit», «Beachtet die Gefahr von zu viel Dissonanz», «Entscheidet euch, welche Sprache im Spiel gesprochen werden soll», «Wiederholt das Lied, die Melodie» oder «Bringt eine rhythmische Struktur rein.» Und schon sass er neben dem Probanden und griff mit in die Tasten.
Vergänglich, weil einmalig
Trotz dem stundenlangen Zuhören: Langweilig war der Kurs keinen einzigen Moment. Auch für das leibliche Wohl war gesorgt: In der Küche des Jugendkellerraums wirkte Kirchenpflegerin Elfie Buchard. Wissend, dass der Marathon nachmittags noch andauern würde, kamen die Spaghetti bei allen gut an.
Nach dem Abendessen, erneut von Elfie Buchard zubereitet, probten die sieben Organistinnen und Organisten, die bereit waren, abends gemeinsam ein kleines Konzert zu geben, zusammen mit Seifen. Währenddessen eilte der Kirchenpfleger und Organisator des Anlasses, Niklaus Wyss, aufs Sekretariat tippte in Kürze das fertige Programm für die Konzertbesucher und druckte es aus. Das lohnte sich, denn es fanden erfreulich viele Interessierte den Weg in die Kirche, in welchem die sieben Musiker ihre Improvisationen auf beachtlichem Niveau vortrugen.
Vergängliche Kompositionen, hatte der Meister gesagt: vergänglich, weil einmalig. Aber das Konzert wird bei den Konzertbesuchern nachhallen. Und das Gehörte und Gelernte sowie die Begegnungen werden die Teilnehmenden wohl noch ein gutes Stück auf ihren Wegen begleiten.
Was gefällt dir besonders an der Orgel?
«Unser Hauptorganist, Gilberto Fischli, kann auf jedes Publikum eingehen», sagte Kirchenpflegepräsidentin Ursula Gütlin. Im Rahmen der Orgelfesttage in Schlieren versuchte Fischli, der schon im Alter von sechs Jahren Klavier und Handorgel spielte, gestern Jugendlichen die Orgel schmackhaft zu machen.
Zum Einstieg fragte der Organist, wer wisse, wie teuer die Orgel sei, und erhält zur Antwort: «Ein paar Tausend». Die Restaurierung habe etwas über eine halbe Million Franken gekostet, sagte er. Die Orgel sei nicht nur das teuerste, sondern auch das älteste Instrument mit ihrer über 2000-jährigen Geschichte. Die kleinste Pfeife messe einen Zentimeter und die grösste bis zu fünf Meter. Insgesamt habe die Orgel in der reformierten Kirche Schlieren rund 2600 Pfeifen und sei damit das vielfältigste Instrument, erzählte der Hauptorganist und schaute in die staunenden Augen der anwesenden Kinder.
Die Orgel kann neben klassischer Orgelmusik wie etwa eine imposante Toccata von Bach, Hochzeitshymnen oder Trauermusik auch klingen wie bestimmte Instrumente. Fischli demonstrierte dies anhand des Flötenstücks «El condor pasa», an einem Barocklied für Trompete oder der Dudelsackmelodie von «Amazing Grace». Michael Jackson oder Lady Gaga funktionieren ebenfalls auf der Orgel. «Paparazzi» von Lady Gaga klingt auf der Orgel festlich, wenn nicht gar kirchlich. Nach den musikalischen Kostproben durften die Kinder gestern selbst auf den Pedalen der Orgel treten und auf den Tasten klimpern. «Alle meine Entchen» wurde ausprobiert. Und zum Abschluss konnten die jungen Besucher einen Blick in den Innenraum der Orgel werfen. (VUO)