Irmgard Meier-Frei
«Es ist sagenhaft, wenn Sie sehen, was Sie da bewirken können»: Eine Limmattalerin in Westafrika

Sie sei zu alt, sagte man ihr, als sie sich bei einer Hilfsorganisation engagieren wollte. Doch Irmgard Meier-Frei verzagte nicht und gründete kurzerhand ihr eigenes Hilfsprojekt.

Tobias Bolli
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Im Rahmen der Ausbildungskurse können auch Computer eingesetzt werden. Diese sind laut Meier-Frei sogar an staatlichen Universitäten eher Mangelware.

Im Rahmen der Ausbildungskurse können auch Computer eingesetzt werden. Diese sind laut Meier-Frei sogar an staatlichen Universitäten eher Mangelware.

Zur Verfügung gestellt

Man könnte meinen, sie sei gerade erst auf die Welt gekommen, die Lebenskräfte regen sich gewaltig in dieser Frau. Mit einem Flackern in den Augen klappt Irmgard Meier-Frei ihren Laptop auf. Es soll gleich losgehen, die PowerPoint-Präsentation ist schon gestartet. Ihre Energie, so scheint es, muss abgeführt werden, umgewandelt in eine Tätigkeit oder wenigstens einen sprudelnden Redefluss. Selbst im Sitzen irgendwie beschwingt, beginnt die 71-Jährige von ihrer Leidenschaft zu erzählen. Während des ganzen Gesprächs zeigt sich nicht einmal die Spur einer Müdigkeitserscheinung. Auf der ersten Folie prangt der Schriftzug «Bouge»: sich bewegen oder sich verändern, vielmehr: Beweg dich! Verändere dich! Es ist das Logo ihres Hilfsprojekts.

ONG Bouge ist eine Nicht-Regierungs-Organisation. Sie ist in Bénin angesiedelt, einem kleinen westafrikanischen Staat, der sich gerade noch auf der Nordhalbkugel befindet. Auch Bénin begeht am 1. August seinen Nationalfeiertag, ansonsten könnte dieses Land fremdartiger kaum sein. Strassennamen oder –Nummern, sagt Meier-Frei, gibt es zum Beispiel so gut wie keine. Wer ein Paket oder einen Brief zustellen will, bringt diese am besten persönlich vorbei. Zweifellos eine Umstellung für jemanden, der sich in der Schweiz an die Ausschilderung jedes Nebensträsschens gewohnt ist.

«Es ist einfach sagenhaft, wenn Sie sehen, was Sie da bewirken können.» Irmgard Meier-Frei, Gründerin des Hilfswerks ONG Bouge

«Es ist einfach sagenhaft, wenn Sie sehen, was Sie da bewirken können.» Irmgard Meier-Frei, Gründerin des Hilfswerks ONG Bouge

Tobias Bolli

Das Leben auf den Kopf stellen

32 Jahre lang hat Meier-Frei zuvor eine eigene Werbe- und Kommunikationsagentur geführt. Sie wuchs in Spreitenbach auf, wohnte danach in Dietikon und Bergdietikon. Nun verbringt sie den Grossteil ihrer Zeit in Bénin und ist nur noch sporadisch in der Schweiz anzutreffen. Die Pensionierung sei für sie einem Startschuss gleichgekommen: «Das ist der Moment, um das Leben auf den Kopf zu stellen.» Davon abhalten konnte sie auch nicht der abschlägige Bescheid einer Hilfsorganisation. Sie habe die Altersobergrenze überschritten, wurde ihr bestellt, und könne daher nicht berücksichtigt werden. Meier-Frei verzagte nicht und gründete 2006 ihre eigene Hilfsorganisation.

ONG Bouge will Menschen nachhaltig helfen und ihnen dafür das Werkzeug und Know-how zur Selbsthilfe zu Verfügung stellen. Neben der Finanzierung eines Patenschaftprojektes für Waisenkinder wird vor allem Geld in die Ausbildung benachteiligter Frauen und Männer investiert. Ein vielversprechender Ansatz, werden in Bénin doch alljährlich Hunderttausende fast ohne Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt geschwemmt.

Die Ausbildung, für die sich nur Waisen oder Halbwaisen bewerben können, findet in einem von ONG Bouge aufgebauten und betriebenen Ausbildungszentrum statt. Lehrlinge können sich da in Tieraufzucht, Landwirtschaft und der Verarbeitung von Nahrungsprodukten weiterbilden lassen. Auch ein Kurs in Kleinunternehmertum wird angeboten.

 ONG Bouge unterstützt junge Menschen auch bei der Berufswahl und Lehre.

ONG Bouge unterstützt junge Menschen auch bei der Berufswahl und Lehre.

Zur Verfügung gestellt

Dass im Rahmen dieser Kurse mit Laptops gearbeitet werden kann, ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Entsprechende Geräte stehen zum Teil nicht einmal an Universitäten zur Verfügung, sagt Meier-Frei. Nach der Ausbildung werden die Absolventen bei den ersten Schritten in die Selbstständigkeit begleitet. Ziel ist aber ihre vollständige Unabhängigkeit.
Es mangelt in Bénin nicht nur an weitergehender Ausbildung. «Oft sind es elementare Dinge, an denen es hapert.» So müsse den Leuten etwa beigebracht werden, Gemüse vor dem Essen zu waschen oder Tomaten mit Stäben zur Stützung zu versehen. Kleine Hinweise können da schon grosse Wirkung zeigen.

«Du bist es, der etwas bewirkt!»

Mit ihrer auf Veränderung drängenden Mentalität eckt Meier-Frei zuweilen an. «C’est Dieu, qui veut». Diesem Seufzer begegne man oft in Bénin. Gott habe das eben so gelenkt, habe dieses oder jenes Unglück eben so hereinbrechen lassen. Und, so schwingt dabei mit: Da kann man als kleiner Mensch auch nichts machen. Hier müsse man dagegenhalten und immer wieder sagen: «Du bist es – du bist es, der etwas bewirkt», sagt Meier-Frei.

Die Arbeit für ihr Hilfsprojekt sei reich an schönen Momenten und lade sie immer wieder neu mit Energie auf. «Es ist einfach sagenhaft, wenn Sie sehen, was Sie da bewirken können.» Wenn etwa die Kinder ihr Schulmaterial in Empfang nehmen dürfen, sei das für sie wie Weihnachten.

Meier-Frei hat in Bénin auch selber etwas lernen können: Geduld und etwas Ruhe. Nicht alles laufe in Bénin so schnell, da könne man sich gut in Gelassenheit üben. Hier in der Schweiz geht es aber demnächst weiter. Kaum ist die PowerPoint-Präsentation durchblättert, da poppt im Vortragsprogramm ein Nachrichtenfenster auf. Meier-Frei packt ihre Sachen zusammen. Der nächste Termin steht ins Haus.