Zürich
Er ist kultureller und religiöser Brückenbauer bei der Stadtpolizei: «Ich will nicht repressiv wirken»

Claudio Schärli ist gelernter Koch und arbeitet seit 2002 bei der Stadtpolizei Zürich. Zuerst fuhr er in der Sicherheitsabteilung Streifenwagen, die letzten zehn Jahre war er bei der Interventionseinheit Skorpion. Seit März arbeitet er nun als kultureller und religiöser Brückenbauer.

Katrin Oller
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«Miteinander reden ist das Wichtigste»: Claudio Schärli ist als Brückenbauer der Präventionsabteilung der Stadtpolizei angegliedert. Michele Limina

«Miteinander reden ist das Wichtigste»: Claudio Schärli ist als Brückenbauer der Präventionsabteilung der Stadtpolizei angegliedert. Michele Limina

MICHELE LIMINA

Herr Schärli, warum braucht es Sie bei der Stadtpolizei Zürich?

Claudio Schärli: Die Stadt Zürich ist eine weltoffene Stadt. Es gibt Leute aus verschiedenen Religionen, Kulturen und Ethnien. Da besteht Bedarf an Austausch zwischen ihnen und der Polizei.

Ihre Funktion gibt es seit März. Warum erst jetzt?

Zuvor hat man das Thema bearbeitet, etwa mit Community-Policing. Aber durch die Ereignisse in den letzten Jahren und Monaten sind die Themen Islam und Radikalisierung mehr in den Vordergrund gerückt. Deshalb hat die Stadtpolizei Zürich die Lage neu beurteilt und gesehen, dass ein Bedürfnis da ist, das man abdecken müsste.

Wie sind Sie Brückenbauer geworden?

Ich bin früher Streifenwagen gefahren und mir ist aufgefallen, dass die Thematik Religion und Kulturen immer wichtiger wird. Für die Rapportierung oder das Handeln auf der Strasse hätten wir Hintergrundwissen gebraucht, das nicht da war. Das bin ich angegangen, und die Stadtpolizei hat die Zeichen der Zeit erkannt und die Fachstelle ins Leben gerufen.

Was ist Ihre Aufgabe?

Ich bin Ansprechpartner für die religiösen und kulturellen Gruppen und die Polizei. Ich sensibilisiere die Mitarbeitenden der Stadtpolizei und gebe ihnen die Möglichkeit, sich fortzubilden, damit sie gerüstet sind auf der Strasse.

Wer ist Ihre Zielgruppe?

Alle Religionen und Kulturen, die in der Stadt vertreten sind, alle Gruppen und Vereine. Grenzen zu ziehen, ist fast unmöglich.

Interessieren die Polizei vor allem Gruppen mit Konfliktpotenzial?

Die Polizei hat ein grundsätzliches Interesse an solchen Themen. Wichtig ist, dass ich dort bin, bevor etwas passiert. Deswegen bin ich der Präventionsabteilung angegliedert.

Was tun Sie konkret?

Ich besuche Moscheen oder Synagogen oder Weiterbildungen. Ich habe Sitzungen mit anderen Abteilungen der Stadtpolizei oder der Verwaltung, mit anderen Kantonen oder dem Bund. Ich werde an Anlässe von religiösen Gruppen eingeladen. Ich gebe auch Lektionen in Integrationsklassen, wo ich Auskunft ¬gebe über unsere Kultur, Gesetze und was die Polizei macht.

Das hört sich nach viel an. Wie machen Sie das alleine?

Das Spektrum ist riesig, aber es ist angedacht, dass ich Unterstützung erhalte.

Wie reagieren die Gemeinschaften auf Sie?

Es ist erstaunlich, wie schnell sich herumgesprochen hat, dass es bei der Stadtpolizei einen Brückenbauer gibt. Ich bekomme diverse Anfragen. Die islamischen Gemeinschaften sind anfänglich zum Teil eher skeptisch. Aber spätestens nach dem zweiten Treffen ist das Eis gebrochen.

Woher kommt das Misstrauen?

Kulturell bedingt sehen gewisse Leute in den Behörden eine Gefahr, Schmerz oder sogar Tod. Es ist meine Aufgabe, ihnen zu sagen, dass sie in der Schweiz keine Angst zu haben brauchen vor der Polizei.

Sind Sie deshalb in Zivil unterwegs?

Ja, es ist mir wichtig, nicht repressiv zu wirken. Eine Uniform reicht manchmal schon, um zu verunsichern. Es gibt aber Situationen, da hilft die Uniform, etwa wenn ich zeige, wie eine Personenkontrolle funktioniert. Oder als ich eine Lektion gab mit Flüchtlingen, die gehörlos sind. Sie berühren sich jeweils kurz, um miteinander zu kommunizieren. Ich musste zeigen, dass man einen Polizisten auf keinen Fall von hinten in der Waffenregion anfassen darf.

So entstehen Missverständnisse. Passiert das auch Ihnen?

Es gibt viele Stolpersteine, wenn man sich zu wenig vorbereitet. Mir ist am Anfang auch schon passiert, dass ich eine Moschee besucht habe und mit jemandem im Gespräch war. Da stand ich plötzlich auf dem Teppich und hatte die Schuhe noch an, obwohl man die auszieht, bevor man den Gebetsbereich betritt. Ich wurde freundlich darauf hingewiesen, ob ich meine Schuhe ins Regal stellen könne.

Gibt es Barrieren, die Sie nicht überwinden konnten?

Wenn man diese Arbeit macht, darf man keine Berührungsängste haben. Es kommt vor, dass ich mit Händen und Füssen spreche. Aber grundsätzlich bin ich nicht auf Barrieren gestossen. Ich bin offen und authentisch und versuche nicht, etwas darzustellen, was ich nicht bin. Ich lasse mich auch nicht auf religiöse Diskussionen ein. Ist das Vertrauen da, ist der Umgang herzlich.

Wie nahe kommen Sie an die Gruppierungen heran?

Das kommt darauf an, wie nahe man mich heranlässt. Ich war an Freitagsgebeten, an Generalversammlungen oder religiösen Festen und bei Familien. Aber ich muss akzeptieren, wenn ein Gespräch oder ein Anlass privat ist.

Was sind Anzeichen für eine Radikalisierung?

Wenn mich etwa Mitglieder eines Vereins ansprechen, weil sich Grüppchen gebildet haben, die sich verändern oder Kritik ausüben. Dann suche ich das Gespräch.

Von sich aus agieren Sie nicht?

Ich bin Polizist und weiss, was in der Stadt läuft. Wenn ich etwas feststelle, probiere ich, präventiv Einfluss zu nehmen.

Was passiert, wenn Sie einen Verdacht bestätigen?

Dann involviere ich die Stellen, mit denen ich sowieso zusammenarbeite. Dann analysiert man zusammen jeden Fall, und es werden nötige Massnahmen ergriffen. Ich bin aber nicht für die Ausführung der Massnahmen zuständig.

Wie steht es mit der Radikalisierung in Zürich?

Man kann nicht sagen, es gebe sie nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Winterthur gilt als Dschihad- Hochburg. Suchen Sie Parallelen in Zürich?

Ich tausche mich mit den Verantwortlichen in Winterthur aus, wie auch mit der Brückenbauer-Fachstelle der Kantonspolizei. Wir sitzen mehrmals pro Woche zusammen und analysieren die Lage.

Die muslimischen Gemeinschaften sind unter Generalverdacht. Wie gehen Sie damit um?

Die Gruppen fühlen sich zum Teil in eine Ecke gedrängt. Deshalb ist Vernetzung wichtig, dass ich mit ihnen sprechen kann, ihnen zuhöre und ihnen dabei behilflich bin, eine Strategie zu entwickeln: etwa einen Tag der offenen Tür zu organisieren oder in den Medien ein Statement abzugeben.

Gibt es Leute, die sich bei der Polizei melden, weil sie sich bedroht oder gestört fühlen von einer Gemeinschaft?

Ja, etwa beim Freitagsgebet, wenn viele Muslime in die Moschee gehen. Viele kommen mit dem Auto, oder es wird laut, weil im Sommer die Fenster offen sind. Es kann sein, dass ich vorbeigehe und das Gespräch suche. Miteinander zu reden, ist das Wichtigste. Es muss nicht gleich die Polizei vorbeikommen. Vieles beruht auf Unwissen. Es ist meine Aufgabe, Wissen zu vermitteln, sei es in der Nachbarschaft oder bei unseren Polizisten.