Selbstversuch
Die Jagd ist eröffnet: Pokémon Go erobert auch das Limmattal im Sturm

Sie sind wieder da: Dank der App «Pokémon Go» erobern die virtuellen Monster die reale Welt. Auch in Dietikon muss man nicht lange suchen, bis man auf die farbigen Wesen und ihre Jägerinnen und Jäger trifft.

Janine Gloor und Esther Laurencikova
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Pokémon Go - Jagd in Dietikon
11 Bilder
Mit dem Pokéball fängt man Pokémons
Ein Rattfratz vor dem Dietiker Bahnhof.
Überall sichtet man Pokémons
Raffaella Popp (26) «Ich habe schon von der App gehört, habe sie aber nicht heruntergeladen. Ich finde diesen Hype ein bisschen seltsam.»
Hamsa (12) «Ich habe die App gleich heruntergeladen, als sie in der Schweiz erhältlich wurde. Ich habe schon viele Pokémon gefangen.»
Doni und Stefan, (beide 17) «Wir haben die App nicht, sie zieht viel zu viel Akku. Der Hype ist sicher bald wieder vorbei.»
Deborah Bini (19) «Pokémon hat meine Kindheit geprägt. Ich freue mich, dass ich die Pokémon nun in der realen Welt wiederfinden kann.»
Bestens gelaunt: Sejon, Andrin und Salomon auf Pokémon-Jagd am Bahnhof.
Melanie Müller und Selena Paukovic wissen, wo es viele Pokémons gibt.
Lucien (13) «Ich spiele jetzt gerade. Ich finde ‹Pokémon Go› voll lustig, man ist mehr draussen.»

Pokémon Go - Jagd in Dietikon

Janine Gloor

Sind Ihnen in den letzten Tagen Passanten aufgefallen, die ohne links und rechts zu schauen durch die Stadt gehen, in der Hand das Smartphone, das wie ein Kompass den Weg weist? Möglicherweise waren diese Personen mit dem Spiel «Pokémon Go» beschäftigt, das man seit letztem Samstag auch in der Schweiz herunterladen kann. Ziel des Spiels ist es, kleine Monster – die Pokémon – zu fangen. Gejagt wird aber nicht auf dem Sofa im Wohnzimmer.

Genau so wie die Figur im Spiel muss man sich auch als Nutzer bewegen. Die App des Videospielherstellers Nintendo ruft einen weltweit einzigartigen Begeisterungssturm hervor. Bereits in den 1990er-Jahren dominierten die Pokémons die Spielkonsolen, nun haben sie auch die Smartphones erobert. Die Limmattaler Zeitung wollte wissen, was dahintersteckt und hat «Pokémon Go» in Dietikon ausprobiert.

Beim Starten der App erscheint auf dem Smartphonebildschirm die virtuelle Pokémonwelt sowie die Figur der Jägerin oder des Jägers. Bewegt man sich mit dem Smartphone, läuft die Figur im Spiel mit. Erscheint dann ein Pokémon am virtuellen Wegrand, wechselt das Smartphone zur Kameraansicht – das Pokémon erscheint in der realen Welt und kann gefangen werden. Dazu stehen einem kleine Bälle (Pokébälle) zur Verfügung, und gelingt der Wurf in die Nähe des kleinen Monsters, öffnet sich dieser und schliesst das Pokémon ein.

Sogar im Bett hat es Pokémons

Wir starten in der Redaktion, doch weder auf den Schreibtischen noch im Pausenraum finden wir Pokémons. Das erste Ziel unserer Pirsch ist schnell klar, im Stechschritt geht es an den Dietiker Bahnhof. Dort gibt es mehr Pokémons als Tiere auf der Arche Noah. Mühelos fangen wir ein kleines flauschiges Monster mit dem Namen Evoli ein, dann ein vogelähnliches Taubsi. Die Pokénamen sind Programm. Die hohe Pokémondichte am Bahnhof haben auch Salomon, Andrin und Sejon bemerkt. Sie sitzen auf einem Bänkli bei der Bushaltestelle. «Ich habe die App seit Samstag», sagt Andrin. Der 12-Jährige hat seither fleissig gejagt, 92 unvorsichtige Pokémons hat er eingefangen. Die drei Knaben sind begeisterte Spieler. «Es macht viel Spass. Wir finden es cool, dass man zum Spielen nach draussen gehen muss», sagt Sejon.

Ein Blick auf die Karte zeigt, wo die Exkursion als Nächstes hinführen soll. Der Platz vor der St. Agatha-Kirche weist Pokéstops auf – das sind Orte, an welchen man Pokébälle und Nahrung für die eigenen Pokémons erspielen kann. Das Jagdglück ist uns hold, die kleinen Monster scheinen sich hier besonders wohlzufühlen. Uns geht ein Rattfratz – ein rattenähnliches Wesen – ins virtuelle Netz.

Zwei junge Frauen werden von ihren Smartphones mit unsichtbarer Kraft über den Kirchplatz gezogen. Selena Paukovic und Melanie Müller spielen seit dem letzten Samstag, als die App in der Schweiz offiziell lanciert wurde. «Die App war völlig überlastet, ich musste bis zwei Uhr morgens warten, bis ich mich endlich registrieren konnte», erzählt Melanie Müller. «Ich spiele erst seit Montagmorgen», sagt Selena Paukovic. Ihr Handy vibriert, ein Pokémon ist in der Nähe. Mit einer geübten Wischbewegung über den Bildschirm fängt sie da Monster beim ersten Versuch. «Sie sind überall», sagt sie und strahlt. «Ich habe sogar drei in meinem Bett gefunden.»

Kaum haben wir uns verabschiedet, beobachten wir einen jungen Mann, der ohne Zweifel gerade Pokémon Go spielt: Zügiger Schritt, ein Auge fest auf das Display gerichtet, mit dem anderen schielt er auf die analoge Umgebung. Christian ist 28, seinen Nachnamen will er uns nicht nennen, die Begeisterung für die App ist ihm ein wenig peinlich. Den Pokémon-Hype in den 1990er-Jahren hat er nicht mitgemacht. «Ich bin zwar damit aufgewachsen, fand Pokémon aber ziemlich blöd», sagt er. Nun hat sich das Blatt gewendet. Bereits 540 Pokémons hat er seit letztem Samstag gefangen, auf seiner Jagd hat er inzwischen 44 Kilometer zurückgelegt.

Das Problem mit der Arena

Wir sind beeindruckt, doch der Stolz auf die 30 von uns erbeuteten Pokémons leidet etwas. Aber auch Christian verspürt etwas Frust. Weiter oben an der Bremgartnerstrasse gibt es anscheinend eine Pokémonarena. Ein Ziel des Spiels ist es, sein eigenes Pokémon in einer solchen Arena zu platzieren. Dies gelingt nur, wenn man das vom Vorgänger platzierte Pokémon mit den eigenen Pokémons im Kampf besiegt. Bereits mehrere Male konnte Christian einen Sieg verbuchen und die Arena einnehmen. «Nach zwei Minuten fordert mich aber jemand wieder zum Kampf auf und besiegt mich», sagt er. Da man sich dem Kampf in der Pokémonarena nur stellen kann, wenn man sich tatsächlich an dem festgesetzten Ort befindet, gibt es für Christian nur eine Erklärung. «Da muss jemand wohnen, der die Arena immer wieder zurückgewinnt», sagt er. Immerhin sei aber die Pokémonsituation in Dietikon besser als in seinem Heimatort, einem kleinen Dorf im Thurgau.

Dort musste er letzte Woche bei einem Treffen mit alten Freunden enttäuscht feststellen, dass praktisch keine Pokémons vorkommen. «In der Stadt hat man schon mehr Möglichkeiten», sagt er. Seit einem Jahr wohnt er in Dietikon, das Spiel bringe ihm nicht nur Freude, sondern auch einen Vorteil. «Seit ich rausgehe, um zu spielen, habe ich Dietikon viel besser kennen gelernt.» Christians Spielerfolg motiviert uns, selber nochmals eine Runde zu spielen. Wir versuchen es im klimatisierten Löwenzentrum, obwohl wir den Verlust des GPS-Signals fürchten. Das Wagnis lohnt sich, zwischen dem Kleiderladen Zebra und der Apotheke gelingt uns ein weiterer Fang. Ach nein, schon wieder ein Rattfratz.

Level 6 mit Sonnenbrand

Als wir aus dem Löwenzentrum heraustreten, schlägt uns die brütende Hitze entgegen. Unsere Nasen haben bereits einen leichten Sonnenbrand. Auch unser Akku und unsere Energie schwinden langsam. Wir gönnen uns ein Glacé und machen uns auf den Rückweg zur Redaktion. Erreicht haben wir nach ungefähr zwei Stunden Spielen Level 6, gefangen haben wir 35 Pokémons. In einer Pokémonarena konnten wir unser Können leider noch nicht erproben. Aber das macht nichts, wir spielen weiter.

Auch unsere Kollegen aus Aarau konnten der Pokémon-Jagd nicht widerstehen: