Gebäudereiniger
Die Integrationsvorlehre ist Chance für Flüchtlinge und Unternehmen zugleich

Abinet Gudisa absolviert eine Integrationsvorlehre als Gebäudereiniger bei den SBB. Nicht nur für ihn, sondern auch für das Unternehmen bieten sich Chancen.

Sibylle Egloff
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Der 30-jährige Abinet Gudisa reinigt die Serviceanlage Herdern in Altstetten.

Der 30-jährige Abinet Gudisa reinigt die Serviceanlage Herdern in Altstetten.

Claudio Thoma

Mittagszeit am Bahnhof Altstetten. Vor dem Coop Pronto herrscht ein Gedränge. Abinet Gudisa tritt aus dem Laden mit einem Sandwich und einem Milkshake in der Hand. Der 30-Jährige fällt auf mit seiner leuchtend orangen Arbeitskleidung. Anfang August startete er seine Integrationsvorlehre als Gebäudereiniger bei den SBB. Sein Arbeitsplatz ist die Serviceanlage Herdern in Altstetten. Dort ist er für die Unterhaltsreinigung von Büro- und Aufenthaltsräumen sowie der technischen Anlagen zuständig.

«Heute Morgen habe ich zum Beispiel den Boden aufgenommen», sagt er mit einem breiten Lächeln. Dabei kommt eine markante Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen zum Vorschein. «Ich habe nicht viel Zeit», sagt er und schaut auf sein Handy. «In einer halben Stunde muss ich wieder zurück zur Arbeit.» Die schweizerische Tugend Pünktlichkeit scheint der vorläufig Aufgenommene verinnerlicht zu haben. Seinen Mittag verbringt der in Schlieren Wohnhafte am liebsten mit seinen Arbeitskollegen in der Kantine bei der Serviceanlage. «Mir gefällt meine Arbeit. Vor allem, weil ich so tolle Kollegen habe, die mir alles erklären können.» Die Gespräche mit ihnen würden ihm zudem helfen, sein Deutsch zu verbessern.

Nicht mehr dasselbe machen

Der 30-Jährige lebt seit 2013 in der Schweiz. Geboren wurde Gudisa in Äthiopien in der Stadt Ambo, im Zentrum des ostafrikanischen Landes. Vor fünf Jahren liess er seine Familie zurück und floh alleine in die Schweiz, um dem Regime unter dem unterdessen verstorbenen Ministerpräsidenten Meles Zenawi zu entkommen. «Als Regierungsgegner hat man kein einfaches Leben in Äthiopien», sagt er und sein Lächeln verschwindet. In seinem Heimatland war Gudisa auf Baustellen als Maurer tätig. In der Schweiz will er aber nicht mehr dasselbe machen. «Ich glaube, es wäre zu schwierig für mich in der Schweiz als Bauarbeiter. Hier herrschen viel höhere Anforderungen.» Deshalb entschied sich Gudisa, die Vorlehre als Gebäudereiniger anzutreten.

Dazu mussten aber auch die SBB, seine Arbeitgeberin, einwilligen. Genauer gesagt die Login Berufsbildung AG, die Bildungspartnerin der SBB, die sich um dieses Projekt sowie um die Berufslehren bei den SBB kümmert. «Wir sind überzeugt von diesem Pilotprogramm. Es ermöglicht anerkannten Flüchtlingen einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Damit können die Chancen auf eine langfristige Integration in den Arbeitsmarkt und auf eine finanzielle Unabhängigkeit deutlich erhöht werden», sagt Sabrina von Känel, Leiterin der Marketingkommunikation. Das Projekt biete auch Vorteile für Login und ihre Bildungspartner.

«Die Integrationsvorlehre erschliesst zusätzliches Nachwuchspotenzial.» Login und die SBB hätten die Möglichkeit, während eines Jahres künftige Lernende kennenzulernen und sie systematisch an die Berufsanforderungen heranzuführen. Somit eröffne sich ein zusätzlicher Rekrutierungskanal und damit die Optimierung der Nachwuchssicherung. Denn: «In der Gebäudereinigung und im Gleisbau können oftmals nicht alle offenen Lehrstellen aus dem Schülermarkt besetzt werden», sagt von Känel. Gudisa ist einer von schweizweit 20 Personen, die bei den SBB in den Berufsfeldern Gleisbau, Mechanik und Automatik, Logistik und Gebäudereinigung seit August eine Vorlehre absolvieren. Die Lernenden sollten nicht älter als 40 Jahre sein.

Bisher ist man mit Gudisas Leistung zufrieden. «Seine Fach-, Methoden- sowie Selbstkompetenz werden als gut bewertet», sagt von Känel. Ob er im Anschluss an dieses Jahr eine zwei- oder dreijährige Lehre bei den SBB starten kann, ist noch offen. «Nach einem halben Jahr machen die Berufsbildenden mit den Lernenden eine Standortbestimmung, um diese Frage zu klären», so von Känel. Zur Integrationsvorlehre gehört aber nicht nur die Praxis. Zwei Tage pro Woche büffelt Gudisa am Abend an der kantonalen Berufsschule für Weiterbildung in Zürich. Dort lernt er Grundlagenkenntnisse, Deutsch und wie man mit dem Computer umgeht.

Auf das Projekt aufmerksam gemacht wurde er vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK). Gudisa nimmt an dessen Projekt «Perspektive Arbeit» teil, bei dem die Flüchtlinge von Freiwilligen begleitet und beraten werden. «Dass Abinet Gudisa nun eine Integrationsvorlehre absolvieren kann, ist für uns eine Erfolgsgeschichte», sagt Anna Bossart. Sie ist Projektverantwortliche beim SRK. «Ihm werden in Zukunft mit einer abgeschlossenen Berufslehre viele Türen offen stehen.»

Auch Gudisa freut sich: «Ich bin sehr froh, dass ich diese Chance bekomme.» Die weissen Leuchtstreifen auf seiner orangen Arbeitskleidung glänzen im Sonnenlicht. Ihm ist bewusst: «Wenn ich in der Schweiz bleiben und eine Arbeitsstelle finden will, brauche ich einen Lehrabschluss.»