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Limmattal
Seit zwei Jahrzehnten machen Mickry 3 erfolgreich Kunst. Wir trafen die Künstlerinnen in ihrem Atelier auf dem Schlieremer Gaswerk-Areal.
Leicht genervt schaut die gebückte Frauenfigur zum Himmel, währenddem sie einen Tritt in den Hintern verpasst bekommt. Der aus ihrem Mund schiessende Pfeil zeigt zwar nach oben, richtig zufrieden wirkt sie dennoch nicht. «Jeder kennt doch dieses Gefühl», sagt Dominique Vigne von Mickry 3. Die aus Styroschaum und Aussenputz gefertigte Skulptur, die im Atelier des Künstlerinnen-Trios auf dem Schlieremer Gaswerk-Areal steht, will gar nicht so recht zu den bisherigen Arbeiten passen.
An ihren ersten Ausstellungen verkauften sie Dildos, menschliche Organe und Glückspillen in allen Formen und Farben (M3-Supermarkt, 2001) oder zeigten Plastiken von Geschlechtsteilen, aus denen Arme und Beine wuchsen (Get Physical, 2008). Vielen dürften auch die Plastiken in Erinnerung geblieben sein, bei denen ein bunter, gebröckelter Kotze-Strahl in einen Putzeimer gleitet (Kotz dich frei mit Mickry 3, 2012).
Das zweite Mickry-3-Mitglied, Christina Pfander, blickt auf und sagt: «Ja, unsere Arbeit hat sich schon gewandelt. Aber das ist auch gut so.» Dieses Jahr feiert das Trio sein 20-jähriges Bestehen. Vigne und Pfander lernten die Dritte im Bunde, Nina von Meiss, 1999 in der Zürcher Kunstschule F+F kennen und arbeiteten seither zusammen. Seinen Namen gab sich das Trio in Anspielung darauf, wie mickrig eines seiner ersten Werke war.
Die drei sind Freundinnen und Geschäftspartnerinnen und wollen auch in der Öffentlichkeit als Einheit wahrgenommen werden. So bevorzugen es die Frauen, nicht einzeln mit Namen zitiert zu werden, sondern alle Aussagen in diesem Text einfach Mickry 3 zuzuschreiben. «Wir denken ohnehin oft gleich über uns, die Kunst und die Welt», sagt Mickry 3.
Nicht nur die Arbeiten, sondern auch der Arbeitsprozess hat sich in den beiden letzten Jahrzehnten stark verändert. Von Meiss ist zwischenzeitlich dreifache Mutter und hat daher viele familiäre Verpflichtungen – zum Zeitpunkt des Gesprächstermins weilte sie in den Ferien. «Wir kleben nicht mehr so stark aneinander wie früher. Das ist insofern gut, als dass wir heute wissen, unsere Zusammenarbeit funktioniert auch mit mehr Distanz. Das macht uns optimistisch für die Zukunft», sagt Mickry. Natürlich habe es Streitereien und Krisen gegeben. Diese seien aber niemals derart schwerwiegend geworden, dass ein Mitglied beinahe den Bettel hingeschmissen hätte. «Vorher nehmen wir uns eine Auszeit und verreisen einen Monat auf eine Känguru-Farm oder vollziehen sonst eine Veränderung oder wagen ein Experiment», so Mickry 3.
Experimentierfreudig waren die drei 2012, als sie kurzerhand zum Catering-Unternehmen wurden, obwohl Erfahrung in dieser Branche fehlte. «Wir hatten Lust auf etwas Neues.» In der heimischen Küche bereiteten sie zwei unterschiedliche Menus zu und lieferten sie aus – alles natürlich in Mickry-3-Manier mit handbemalten Tellern. «Das war schön, aber auch anstrengend, obwohl wir den Dienst nur zweimal wöchentlich anboten. An den beiden Tagen lieferten wir bis zu 60 Portionen aus. Das war der Höhepunkt und eine gute Zahl. Wir entschlossen uns dazu, auf dem Höhepunkt aufzuhören», sagt Mickry 3 lachend.
Seither widmen sie sich wieder der bildenden Kunst. Ende August feiern die Frauen Vernissage mit «Ich und die anderen». Wie eingangs beschrieben sind diese Werke anders, überhaupt nicht bunt und wenig sexuell. Ist das Spiel mit Farbe, die Lust an der Provokation und Sexualität vorüber? «Dass unsere Frühwerke derart provozierten, wunderte uns jeweils. Über die Aufmerksamkeit waren wir als junge Künstlerinnen zwar froh, aber wir wollten nicht in eine Schublade gesteckt werden. Eine, in der es heisst, Provokation sei unser einziges Motiv», so Mickry 3.
Auch hätten sich die Rahmenbedingungen geändert. Zwar werde die Gesellschaft bezüglich Provokation und Sexualität zusehends abgestumpfter, dennoch gebe es bei Wettbewerben für Kunst im öffentlichen Raum teilweise strenge Auflagen. «Erst kürzlich verloren wir einen Wettbewerb, weil bei unserem Vorschlag eine Brust zu sehen war das erschien uns völlig absurd, wenn man bedenkt, welche pornografischen Inhalte jedem Kind zugänglich sind.»
Dennoch konnte Mickry 3 in letzter Zeit mehrere prestigeträchtige Aufträge an Land ziehen. Seit Anfang Jahr begrüsst die Skulptur «Einfach Zürich» das Publikum in der gleichnamigen Dauerausstellung im Landesmuseum Zürich. «Bei dieser Arbeit konnten wir zeigen, was Zürich für uns ausmacht. Uns haben es nicht die typischen Touristenattraktionen angetan, sondern beispielsweise das Fischli/ Weiss-Haus bei der offenen Rennbahn in Oerlikon oder die Graureiher, die wir auf unserem Weg hierhin zum Atelier beobachten.»
Besonders stolz sind Mickry 3 auch auf ihr Kunst-am-Bau-Projekt für das Stadtzürcher Schulhaus Schütze, das auf das neue Schuljahr eröffnet wird. Sie gestalteten vier Eingänge mit Betonreliefs, vergleichbar mit jenen, die Genossenschaften Anfang des 20. Jahrhunderts zur Verzierung ihrer Überbauungen nutzten. Lichtinstallationen, die blinken, wenn die Pausenglocke läutet, runden das Ganze ab.
Nicht nur die Künstlerinnen und ihre Werke haben sich verändert: Mit dem Frauenstreik und der #MeToo-Bewegung werden heute Themen wie Lohngleichheit, Machtgefälle zwischen den Geschlechtern und sexuelle Grenzüberschreitung öffentlich diskutiert. Wie geht Mickry 3 damit um? «Am Anfang unserer Karriere umgingen wir solche Themen weitgehend. Das Frausein wollten wir schlichtweg nicht öffentlich thematisieren, da wir keine Opferrollen einnehmen wollten. Wir machten halt einfach», so Mickry 3. Rückblickend sehen die drei aber, dass es auch in der Kunstbranche Sexismus gibt. Dieser komme vielfältig daher. «Weil Frauen oftmals weniger gefördert wurden, sind sie nicht so laut wie Männer. Dies und die gesellschaftlichen Strukturen sind schuld, dass Frauenkunst in Museen stark untervertreten ist», sagt Mickry 3.
2009, als das Trio sein zehnjähriges Bestehen feierte, brachte es eine Monografie raus, in der es Bilanz zum bisherigen Schaffen zog. Dieses Jahr ist kein solcher Meilenstein geplant: «Vielleicht schmeissen wir später im Jahr eine Party irgendwo in einem Club. Das wäre schön.» Für die nächsten 20 Jahre gibt es viele Zukunftswünsche. Einmal im Museum of Modern Art, kurz MoMA, in New York ausstellen zu dürfen, ist einer davon. «Den haben wir seit 20 Jahren.» Aber auch nur schon besser von der Kunst leben zu können, ist ein Ziel. Obwohl im Moment viel zu tun sei und das Geld ausreiche, würden auch Zeiten mit weniger Aufträge kommen.
2007 zügelten die drei Künstlerinnen ihr Atelier von Zürich auf das Schlieremer Areal der Arbeitsgemeinschaft Zürcher Bildhauer (AZB), deren Präsidentin Dominique Vigne mittlerweile ist. Die über 30 Kunstschaffenden sind aber nicht nur auf dem Gaswerk-Areal aktiv. Seit Jahren stellen sie Werke im Rahmen von «Skulptur in Schlieren» aus, um so den öffentlichen Raum aufzuwerten. Aktuell zeigen Mickry 3 auf dem Erdhügel unweit der Engstringerkreuzung ihren «Fruchtexpress Zürich–Schlieren». Die Skulptur soll zeigen, wie die drei wegen einer Gentrifizierungswelle nach Schlieren geschwemmt wurden, die Stadt seither ins Herz geschlossen haben und sie am liebsten nie wieder verlassen möchten. Die starken Winde diesen Frühling wehten den Fruchtexpress jedoch um und beschädigten ihn so gravierend, dass er zurück ins Atelier zur Reparatur musste. Die drei behoben aber nicht nur den Schaden. Sie verpassten der Skulptur auch einen bunten Anstrich, sodass die Autofahrer der Bernstrasse seither von einer gelben Ananas, einer blauen Pflaume und einem roten Tier gegrüsst werden. «Es war Zeit für einen neuen Look für den ‹Fruchtexpress Zürich–Schlieren›», sagt Mickry 3. «Vielleicht ist das der Anfang einer neuen Schaffensphase, in der unsere Werke wieder knallig und bunt werden.»