Prävention
«Beispielhaft» – Zürcher Gewaltschutz dient Bundesrätin Sommaruga als Vorbild

Radikale und Extremisten will der Bund mit einem nationalen Aktionsplan früher erkennen und bekämpfen. Die Arbeit im Kanton Zürich dient ihm als Vorbild.

Heinz Zürcher
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Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr führte Bundesrätin Simonetta Sommaruga in die Präventionsarbeit der Zürcher Kantonspolizei ein.

Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr führte Bundesrätin Simonetta Sommaruga in die Präventionsarbeit der Zürcher Kantonspolizei ein.

In wenigen Tagen verabschieden Städte, Gemeinden, Kantone und Bund den gemeinsam erarbeiteten nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus. Ziel ist es, Gefährder möglichst früh zu erkennen und Gewalttaten zu verhindern. Der Kanton Solothurn übernahm in diesem Bereich eine Vorreiterrolle. Zürich hat aber nachgezogen und den Gewaltschutz ausgebaut. Die Dienststelle innerhalb der Kantonspolizei Zürich gibt es seit 2012. Sie gilt landesweit als führend. «Das Zürcher Modell ist beispielhaft», sagte gestern Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) bei einem Besuch in Zürich. Sie informierte sich in Schwamendingen über die Präventionsarbeit einer Schule und auf dem Kasernenareal über das Bedrohungsmanagement der Kantonspolizei.

Im Vordergrund dieses Managements steht die Vernetzung. Wer Gewalt verhindern will, muss die potenziellen Täter kennen. Deshalb steht die Kantonspolizei in Verbindung mit den Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden, den Opferhilfe- und Beratungsstellen sowie mit Vertretern von Verwaltungen und Gemeinden. Das Netzwerk besteht mittlerweile aus 400 Ansprechpersonen, die über den ganzen Kanton verteilt sind und von der Kantonspolizei geschult werden. Kontakte werden auch mit Schulen, Strafbehörden und Vertretern aus dem Gesundheitswesen gepflegt.

Oft wegen häuslicher Gewalt

Bei der Personalaufstockung der Kantonspolizei zwischen 2011 und 2015 wurde vor allem in die Prävention investiert. Die Abteilung besteht mittlerweile aus fast 90 Mitarbeitenden.

Gefahrenmeldungen werden heute systematisch bearbeitet. Dazu werden auch Forensiker und Risikomanager beigezogen. Bei der Hälfte der Meldungen geht es um häusliche Gewalt, teils aber auch um Stalking, Gewalt gegen Behörden und am Arbeitsplatz, Radikalisierung, Zwangsheirat oder die Gefahr eines Amoks.

Gehen Meldungen über potenzielle Täter ein, suchen die Spezialisten der Kantonspolizei das Gespräch mit der gemeldeten Person. Im Idealfall direkt und bei ihr zu Hause. Der Angesprochene soll sich in seiner Komfortzone bewegen. Nicht Druck, sondern Hilfsbereitschaft will die Polizei signalisieren. Da meist noch kein Tatbestand vorliegt, sind die Gespräche freiwillig. Nach Angaben der Kantonspolizei willigt der oder die Betroffene aber in 90 Prozent der Fälle ein. Sie sollen erfahren, weshalb sie gemeldet wurden, aber auch, was mögliche Konsequenzen einer strafbaren Handlung wären. Im Extremfall sind auch Massnahmen möglich, bevor es zu einer Straftat kommt. Dazu gehören die fürsorgerische Unterbringung oder polizeiliche Präventivhaft.

Ansprache nach Freitagsgebet

Die Gespräche nennt die Polizei Gefährderansprachen. 16 ausgebildete Gefährderansprecher beschäftigt die Kantonspolizei. Sie haben 2016 rund 400 solcher Gespräche durchgeführt. Das heisst nicht, dass im Kanton Zürich 400 Gefährder leben. Teils wurde eine Person mehrmals kontaktiert. Etwa 400 Ansprachen dürften es auch 2017 werden. Selten kommt es auch zu Kollektivansprachen. In einem Fall wurde nach mehreren Gefahrenmeldungen aus dem Umfeld einer Moschee mit dem Vorstand vereinbart, dass ein Vertreter der Polizei nach einem Freitagsgebet über die Meldungen informieren und allfällige Konsequenzen aufzeigen soll.

Solche Aktionen sind allerdings nur möglich, wenn zwischen Institution und Polizei ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden konnte. Für diese Netzwerkarbeit setzt die Kantonspolizei sogenannte Brückenbauer ein. Das Team besteht aus zwei Mitarbeitenden der Dienststelle Gewaltschutz und aus 14 Polizistinnen und Polizisten, die diese Funktion in ihrer Region im Nebenamt ausüben. Sie besuchen ausländische Organisationen, kulturelle und religiöse Institutionen und Asylzentren. In erster Linie geht es darum, Kontakte aufzubauen, diese zu pflegen und die Polizeiarbeit in der Schweiz näher zu bringen und Unsicherheiten abzubauen.

Netzwerkarbeit als entscheidender Faktor

Diese Netzwerkarbeit und das Credo, Gefährder möglichst früh und direkt anzusprechen, erachtet Bundesrätin Sommaruga als entscheidende Faktoren bei der Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus. Sie erwarte jetzt aber nicht, dass alle Kantonspolizeien das Zürcher Modell einfach 1:1 übernehmen. Zwar sei eine gewisse Harmonisierung der Präventionsarbeit zu begrüssen. Doch es sei wichtig, dass die Kantone, Städte und Gemeinden sich so organisieren, wie es die konkreten Umstände auf ihrem Gebiet erfordern, so die Bundesrätin.

Der nationale Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus werde dafür wichtige Empfehlungen enthalten. Öffentlich vorgestellt wird er am 4. Dezember.