Rückblick
Als Frauen im Sport ankamen

Ein neugestalteter Zürcher Stadtrundgang zeigt auf, welche Rolle das Geschlecht im Sport spielte und spielt

Matthias Scharrer
Drucken
Im 1930 gegründeten Damen Ruderclub Zürich war in den Anfangsjahren Stilrudern die weibliche Ruderdisziplin. ZVG/Schweizerisches Sozialarchiv
3 Bilder
Die Wandervögel waren eine der ersten Organisationen, in der junge Frauen und Männer gemeinsam Sport trieben. ZVG/Sozialarchiv
Nadja Koch, Co-Präsidentin Verein Frauenstadtrundgang Zürich

Im 1930 gegründeten Damen Ruderclub Zürich war in den Anfangsjahren Stilrudern die weibliche Ruderdisziplin. ZVG/Schweizerisches Sozialarchiv

Seit 1991, dem Jahr des schweizweiten Frauenstreiks, gibt es in Zürich Frauenstadtrundgänge. Sie machen geschlechtsspezifische Aspekte der Alltagsgeschichte zum Thema – und rufen Leistungen von Frauen in Erinnerung, die ansonsten vergessen gingen. Zum Start in die neue Saison am 13. April hat Nadja Koch, Co-Präsidentin des Vereins Frauenstadtrundgang Zürich, mit Nina Labhart unter dem Titel «Ghupft wie gsprunge» einen Rundgang zur Geschichte der Frauen im Sport neugestaltet.

Bei ihren Recherchen stiessen sie auf Figuren wie zum Beispiel Emmi Bloch. Die Zürcherin gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den Wandervögeln, einer der ersten Organisationen, in der junge Frauen und Männer gemeinsam Sport trieben. «Noch in den 1920er-Jahren gab es Ärzte, die Frauen vom Sport abrieten, weil dadurch angeblich ihre Gebärfähigkeit eingeschränkt würde – oder weil Sport sie hässlich machen würde», sagt Koch. Heute wirken solche Bedenken abwegig. «Doch noch immer werden Frauen im Sport anders gesehen als Männer», so die Historikerin. Oft eher als Sexsymbole. Die norwegische Starfussballerin Ada Hegerberg etwa wurde letztes Jahr bei der Verleihung des Ballon d’Or vor laufender Kamera gefragt, ob sie twerken könne – also einen Tanz darbieten, der hauptsächlich aus lasziven Hüftbewegungen besteht. «Nein», antwortete die derzeit weltbeste Fussballerin – und wandte sich ab.

Schwerer Rock und Pluderhose

Doch zurück zu Emmi Bloch. Fotos aus ihrem Album zeigen Ausflüge der Wandervögel, etwa zum Zelten im Puschlav 1909. Auf einem der Fotos sind im Vordergrund ein junger Mann und eine Frau zu sehen, die auf einer Wiese mit Kochgeschirr hantieren. Auf den ersten Blick ein Bild scheinbarer Gleichstellung. Doch Koch schaut genau hin: «Es sieht so aus, als ob der Mann sich mit Essen bedient, während die Frau es zubereitet.»

Auch hinter den Kleidern, die die Personen auf dem Foto tragen, verbirgt sich eine Geschichte. «Als Emmi Bloch zum Ausflug ins Bündnerland mitkam, musste sie auf der Anreise einen schweren Rock tragen. Erst beim Wandern durfte sie eine Pluderhose anziehen», sagt Koch.

Frauen mussten sich rechtfertigen für die Teilnahme an solchen Ausflügen ohne Geschlechtertrennung, bei denen im Zelt oder in Bauernhöfen übernachtet wurde, wie die Historikerin weiter erzählt. Daher sei bei den Wandervögeln besonders der freundschaftliche Kontakt betont worden. Alles musste möglichst harmlos aussehen. In Zürich trafen sich die Wandervögel im «Alkoholfreien Restaurant zu Karl dem Grossen» beim Grossmünster, das der Zürcher Frauenverein betrieb.

Anmut und Rhythmus

Ein anderes Foto, das Koch für den Frauenstadtrundgang aus dem Archiv geholt hat, zeigt vier Frauen in einem Ruderboot auf dem Zürichsee. Begleitet sind sie von einem Mann, der die Frauen genau beobachtet – wohl der Trainer, wie dem Vereinsarchiv des Damen Ruderclubs Zürich (DRZ) zu entnehmen ist. Der 1930 gegründete DRZ war der erste selbstständige Ruderclub für Frauen in der Schweiz. Ins Leben rief ihn Dora Wettstein, deren Vater dem Limmatclub angehörte und Pontonier war. Die Frauen-Ruderdisziplin hiess in den Anfangsjahren Stilrudern. Es ging dabei primär um Ästhetik, Exaktheit und Körperhaltung, nicht um Geschwindigkeit. An Ruderwettbewerben nahmen die Damen-Ruderclub-Mitglieder als Showeinlage teil. Über ihr Selbstverständnis ist dem Vereinsarchiv Folgendes zu entnehmen: Sie würden den Rudersport nicht wie die Männer betreiben, «sondern zum Zweck des körperlichen Ausgleiches der Berufs- und Hausfrau. Anmut und Rhythmus der Bewegung, Erlebnis in der Begegnung mit Wasser und Natur, verbunden mit der Pflege der Kameradschaft, sind unsere Ziele.»

Die Aktivitäten der rudernden Damen, deren Bootshaus in Zürich Wollishofen noch immer steht, erregten auch das Interesse eines Nachbarn: Dieser pflegte sie mit dem Feldstecher zu beobachten und sich über die Art ihrer Bekleidung zu beschweren, wie es in einer Festschrift des DRZ heisst.

Frauen und Fussball

Auch im Fussball kamen die Frauen erst ganz allmählich an: 1939 stand beim Dorfturnier des FC Adliswil eine «Damen-Fussball-Demonstration» auf dem Programm: Der Töchterchor Adliswil spielte gegen Repolco AG. Der «Sihltaler» schrieb in einer Vorschau: «Als Attraktion tragen Sonntag nachmittags zwei Damenmannschaften ein Spiel aus, die weniger ihre sportlichen Ambitionen, dafür aber ihre weibliche Grazie in die Waagschale werfen.» Über den tatsächlichen Spielverlauf berichtete die Lokalzeitung nicht, wie der vom FCZ-Museum lancierten Website «seit1968.ch» zur Geschichte des Schweizer Frauenfussballs zu entnehmen ist.

Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis 1970 die Schweizer Frauen-Fussballliga startete. Und noch 1994 zeigte ein Skandal um den FC Wettswil-Bonstetten, dass Frauenfussball zum Teil argwöhnisch wahrgenommen wurde: Der Verein löste damals sein Damen-Fussballteam auf, weil angeblich zu viele Lesben dabei waren, wie der «Blick» berichtete. «Der Verein wurde ausgenützt für das Ausleben von abnormalen Veranlagungen», begründete der FC Wettswil-Bonstetten in einem Communiqué sein Vorgehen, das landesweit für Schlagzeilen sorgte. Der Zürcher Fussballverband hob den diskriminierenden Entscheid zwar rasch wieder auf. Doch die verstossenen Spielerinnen wechselten zum FC Birmensdorf. Und Frauenteams sucht man in vielen Fussballclubs bis heute vergebens.

Saisonstart

Der Frauenstadtrundgang «Ghupft wie gsprunge» findet zum ersten Mal am 13. April statt. Treffpunkt: 16.15 Uhr, Wasserkirche (beim Zwingli-Denkmal) am Limmatquai, Zürich. Die Teilnahme kostet 20 Franken, ermässigt 15 Franken. Hinweise auf weitere Frauenstadtrundgänge unter frauenstadtrundgangzuerich.ch. (mts)