Eigene Kinder zu haben macht Staatsmänner sympathisch, das ist unbestritten. So erstaunt es nicht, dass auch Sebastian Kurz die Schwangerschaft seiner Frau in den Medien verbreitete. Dass Kinder bei weiblichen Politikern aber nicht selbstverständlich sind, mussten die neuseeländische Premierministern Jacinda Ardern, aber auch die St.Galler Stadträtin Sonja Lüthi erfahren.
Ein eigenes Kind zu haben zeugt in der öffentlichen Wahrnehmung von Reife: Man steht mit beiden Beinen im Leben und schaut in die Zukunft. Seit jeher lassen sich Staatsmänner darum mit Kindern abbilden – seien es ihre eigenen oder fremde – als Symbol ihrer väterlichen Fürsorge für das Heimatland. Stalin setzte das Stilmittel genauso ein wie Hitler.
Aber nicht nur Diktatoren bedienen sich dieser Symbolik: Besonders jüngere Politiker können sich mit ihren kleinen Kindern, als sympathischer Familienmensch inszenieren. Berühmtestes Beispiel dafür ist wohl der US-Präsident John F. Kennedy. Er liess sich immer wieder mit seiner Tochter Caroline und seinem Sohn John F. Kennedy jr. im Weissen Haus ablichten. Ähnlich taten es die Obamas, deren Töchter Malia und Sasha sogar zu den einflussreichsten Teenagern der USA gewählt wurden. Auch der Schönling unter den Premierministern, Justin Trudeau aus Kanada, misst keine Chance, sich als Familienmensch zu zeigen.
In Europa ist das Phänomen weniger ausgeprägt, aber doch auch zu beobachten. Der britische Premier Boris Johnson beispielsweise nahm erst kürzlich mit seinem einjährigen Sohn Wilfred an einem G7-Gipfel teil. Und auch der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigte vor einigen Tagen auf Instagram schon mal sehr stolz die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin Susanne Thier an.
Beispiele von Staatsfrauen, die sich öffentlich als treuumsorgende Mütter inszenieren, gibt es wenige. Die Ausnahme ist Ursula von der Leyen, die ehemalige Familienministerin von Deutschland und aktuelle Präsidentin der Europäischen Kommission. Sie posierte oft mit ihren sieben mittlerweile erwachsenen Kindern vor Kameras. Doch das war nichts Neues für sie, deren Vater Ernst Albrecht bereits für die CDU politisierte.
Wie die Frankfurter Allgemeine schreibt, erlaubte Albrecht der Öffentlichkeit einen grosszügigen Einblick in sein traditionelles Familienleben mit klarer Rollenteilung. Von der Leyen tut es ihm gleich, nur mit vertauschten Rollenbildern: Sie stellt sich als das Idealbild der vollberufstätigen, erfolgreichen Mutter dar. Ihre Politkarriere startete allerdings erst nach der Geburt ihres letzten Kindes.
In jüngster Zeit versuchte die neuseeländische Premierministern Jacinda Ardern, ein ähnliches Bild zu vermitteln. Sie wurde 2017 mit 37 Jahren ins Amt gewählt und ist damit die weltweit jüngste Premierministerin. 2018 nahm sie schliesslich mit ihrem ersten Baby an einem Treffen der Vereinten Nationen teil. Damit wurde sie zum modernen Vorbild für die Vereinbarkeit von Karriere und Familienplanung und erhielt grosse Unterstützung dafür. Zumal sie erst die zweite Regierungschefin weltweit ist, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekam.
Allerdings musste sie sich bei ihrer Wahl 2017 öfters zu kritischen Fragen über ihre Familienpläne äussern und hielt mehrmals fest, dass sich keine arbeitstätige Frau solche Fragen gefallen lassen müsse. «I am by no means the first woman to multitask», soll sie gegenüber den Medien gesagt haben. Also: Ich bin sicher nicht die erste Frau, die Multitasking betreibt.
Dass Exekutiv-Politikerinnen während ihrer Amtszeit Kinder bekommen, ist allerdings in der Tat sehr selten. Im Unterschied zu ihren männlichen Amtskollegen sind und bleiben sie sogar oft kinderlos, wie beispielsweise Angela Merkel, Theresa May oder alle aktuellen drei Schweizer Bundesrätinnen.
Wenn es dann doch einmal vorkommt, ist es eine kleine Sensation, wie bei Jacinda Ardern oder als Schweizer Beispiel bei der St. Galler Stadträtin Sonja Lüthi. Kurz nach ihrer Wahl im Jahr 2017 wurde sie mit ihrem zweiten Kind schwanger und stiess damit auf grosses Interesse bei den Medien. Im Interview mit dem «St. Galler Tagblatt» kommentierte sie diese Aufmerksamkeit mit: «Das sollte doch normal sein» und meinte damit, als Exekutiv-Politikerin ein Kind zu bekommen. Ob sie es beabsichtigte oder nicht, Lüthi nahm mit der Schwangerschaft während ihrer Amtszeit eine Vorreiterrolle als Politikerin in der Schweiz ein.
Mutter und Stadträtin zu sein sei allerdings schon eine Doppelbelastung. «Ich finde aber, dass es möglich sein muss, als Frau und Mutter ein solches Amt zu übernehmen», sagt Lüthi am Telefon. Schliesslich habe sonst ein grosser Teil der Bevölkerung, nämlich Frauen mit Kindern keine Vertretung in der Exekutive. Sie hoffe und sehe aber auch, dass sich immer mehr junge Frauen dieser Herausforderung stellen wollen.
«Es ist eine Doppelbelastung. Aber ich bin glücklich und dankbar, beides zu haben.»
Als Exekutiv-Mitglied stehe man auch immer wieder öffentlich in der Kritik, sagt die 40-Jährige. «Es braucht in diesem Beruf eine Elefantenhaut.» Darum verstehe sie es auch, wenn sich Frauen ihre Prioritäten ander setzen. «Man ist in dieser Position sehr exponiert.» Umso mehr achte sie darauf, ihr Privatleben und ihre Kinder von der Öffentlichkeit abzuschirmen, bis sie alt genug seien, selber entscheiden zu können.
Nur einmal habe sie sich bisher mit der Familie präsentiert. Das war im ersten Wahlkampf 2017. «Ich mache aber grundsätzlich keinen Wahlkampf mit der Familie», sagt sie. Das bedeute jedoch nicht, dass sie keine Familienfrau sei. «Aber ich möchte über meine Leistungen wahrgenommen werden und nicht über meine Familie.»
Ob man sich mit oder ohne Familie ins Rampenlicht stellen wolle, dass sei eine Entscheidung, die man bewusst fällen müsse, sagt Barbara Günthard-Maier. Sie war 8 Jahre lang Stadträtin von Winterthur, davor in der politischen Kommunikation tätig und ist heute Leiterin des Teams Text in der Kommunikation beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten.
Die Familie sei ganz klar ein Sympathiefaktor bei einem Wahlkampf. «Und jede und jeder entscheidet je nach Ausgangslage und Ziel selbst, ob er oder sie diesen Faktor bewusst für die Imagepflege nutzen will oder nicht», so Günthard.
Ähnlich wie Lüthi habe aber auch Günthard während ihrer Amtszeit vermieden, mit der Familie öffentlich aufzutreten. «Ich war die Politikerin. Und das hat nichts mit meinen Kindern zu tun», so Günthard. Das Private und das Öffentliche auseinander zu halten, sei aber nicht so einfach. So seien ihre Kinder auch schon auf der Titelseite von Zeitungen gelandet, weil sie bei den Wahlen anwesend waren. «Sowas lässt sich nicht vermeiden und gehört ein Stückweit auch zum Dasein als öffentliche Person.»
Für sie sei daher naheliegend, dass man bei professionellen Wahlkampagnen, wie sie beispielsweise in den USA betrieben werden, die Familie dazugehöre. Zumindest in der Schweiz habe sie bisher keine negativen Auswirkungen dessen beobachtet.