Pflege
Die Samariter der Ameisen

Ameisen, die im Kampf ein oder zwei Beine verloren haben, werden von Artgenossen gerettet – indem diese die Wunde sorgfältig reinigen.

Joachim Czichos
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Der Raubzug auf Termiten endet für Ameisen oft mit dem Verlust eines Beins.Wikipedia

Der Raubzug auf Termiten endet für Ameisen oft mit dem Verlust eines Beins.Wikipedia

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Im Kampf mit Termiten verlieren afrikanische Ameisen der Art Megaponera analis oft ein Bein, manchmal auch mehrere. Während besonders schwer verletzte Tiere auf dem Schlachtfeld zurückbleiben, werden die anderen ins Nest getragen. Dort versorgen Mitbewohner die Wunden, indem sie die verletzten Körperstellen ausgiebig säubern. Dies berichten deutsche Biologen im Fachblatt «Proceedings of the Royal Society B». Ohne diese Behandlung überleben die meisten Ameisen den Verlust von Beinen nicht und sterben vermutlich an Wundinfektionen. Das Verhalten ist für das Überleben der Kolonie vorteilhaft, da bei dieser Ameisenart die Koloniegrösse und die Geburtenrate gering sind und die geretteten Tiere schnell wieder an Kampfeinsätzen teilnehmen können – auch wenn sie nur noch vier oder fünf Beine haben.

«Wir haben die Gesundheitsrisiken untersucht, denen eine Ameise durch offene Wunden ausgesetzt ist. Und wir wollten wissen, ob die Ameisen Mechanismen entwickelt haben, um diese Risiken zu verringern», schreiben Erik Frank und seine Kollegen von der Universität Würzburg. Sie beobachteten das Verhalten von Ameisen der Art Megaponera analis in einem Nationalpark der Elfenbeinküste. Eine Kolonie dieser Insekten besteht aus 900 bis 2300 Tieren. Mehrmals am Tag setzen sich Kolonnen von 200 bis 600 Ameisen in Bewegung, um Jagd auf Termiten zu machen. Beim Kampf beissen die Termiten den Angreifern mitunter mehrere Beine ab. Vor der Rückkehr ins Nest wird nach Verletzten gesucht, die Pheromone als chemische Hilferufe freisetzen. Wer mehr als zwei Beine verloren hat, bleibt zurück, die anderen werden abtransportiert.

Säubern verhindert Infektionen

Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Leichtverletzte mit vier oder fünf intakten Beinen schon einen Tag später wieder mobil und einsatzbereit sind. Jetzt konnten die Biologen beobachten, dass die Wunden im Nest sofort intensiv gesäubert werden – manchmal mehrere Minuten lang ohne Unterbrechung. Wie Experimente im Labor zeigten, erhöhte diese Behandlung die Überlebensrate von 20 auf 90 Prozent. Wahrscheinlich versorgen die pflegenden Artgenossen die Wunden auch mit einem Sekret, das antimikrobielle Substanzen enthält, und verhindern damit lebensbedrohliche Infektionen. Für diese Annahme spricht, dass eine Ameise mit frischer Wunde auch unbehandelt mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent überlebt, wenn sie sich auf sterilisiertem Boden aufhält.

Die Entscheidung darüber, ob ein verletztes Koloniemitglied ins Nest gebracht und gepflegt wird oder nicht, hängt von der Schwere der Verletzung ab. Dies äussert sich wiederum im Verhalten der Hilfsbedürftigen: Wenn sich ein Artgenosse nähert, nehmen Leichtverletzte die Körperhaltung des Puppenstadiums ein, bewegen sich kaum und erleichtern dadurch den Krankentransport. Schwerverletzte mit geringen Überlebenschancen dagegen sind ständig in Bewegung, da sie versuchen, auf die noch verbliebenen Beine zu kommen, und werden nicht mitgenommen. Die beschriebene Form der Wundversorgung ist vermutlich eine vorbeugende Behandlung, da sie bereits wenige Minuten nach der Verletzung beginnt, also noch bevor Anzeichen einer Infektion sichtbar sind, erklären die Forscher.