Graphic Novel
Schön unglücklich - die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist seziert cool und amüsant den Schönheitskult

Sie ist als Feministin selbst bereits Kult: Liv Strömquist setzt in ihren neuen Buch «Im Spiegelsaal» zur Kur gegen den Schönheitswahn an.

Hansruedi Kugler
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Die schönheitsbesessene Kaiserin Sissi – schlechte Zähne, das Alter und ihre Taille machten ihr stets Sorgen.

Die schönheitsbesessene Kaiserin Sissi – schlechte Zähne, das Alter und ihre Taille machten ihr stets Sorgen.

War sie die schönste Frau des 19.Jahrhunderts? Bewundert und angehimmelt war Sissi, die österreichische Kaiserin, ein angeschmachtetes Vorbild für Millionen von Frauen, und fast so ein Postergirl wie heutzutage Kim Kardashian oder Kylie Jenner. Beneidet wurde Sissi um ihr bodenlanges Haar, für dessen Pflege eine Hofdienerin täglich drei Stunden benötigte. Beneidet auch wegen ihrer atemberaubenden Wespentaille – und spätestens seit den Sissi-Filmen mit Romy Schneider bemitleidet als tragische Figur in einer aristokratischen Zwangsjacke.

Stars, Glamour und Boulevard – darauf wirft die schwedische Feministin Liv Strömquist gerne mit Leidenschaft ihren analytisch-essayistischen, spöttisch-liebevollen Blick. Im Vorgängerbuch «Ich fühl’s nicht» nahm sie männlichen Narzissmus und emotionale Verweigerung in Liebesbeziehungen aufs Korn und knöpfte sich dafür Leonardo DiCaprio als negatives Paradebeispiel vor.

Zwischen Entfremdung und Selbstermächtigung

Liv Stromquist

Liv Stromquist

Nils Petter Nilsson / Getty Images Europe

Nun also schaut sie näher auf weibliche Seelennöte, genauer auf den Schönheitswahn: Wie der Zorn auf schwindende eigene Schönheit, Scham über vermeintliche Makel und Neid auf Schönheitsidole zum toxischen Mix werden. Depression und Aggression liegen im Schönheitskult nahe beieinander.

Liv Strömquist zitiert den Philosophen René Girard: «Der Mensch begehrt, was andere Menschen begehren.» Tönt simpel, aber plausibel: Nicht nur die Geschichte der Mode ist voller Belege, sondern auch alle anderen Arten von Idolen. Liv Strömquist führt uns locker und witzig durch diese Kulturgeschichte und mitten ins finstere Herz der heutigen Selbstbespiegelung, die den Schönheitseifer wie die Kardashians als Selbstermächtigung feiert oder als Entfremdung kritisiert.

Zwei grosse Unterschiede trennen die «Schönheitsköniginnen». Sissi liess sich fast nie abbilden, versteckte ihr alterndes Gesicht hinter Schleiern und Fächern und verbarg stets ihre schlechten Zähne. Die scheinbar nicht alternde Kim Karda­shian hingegen ist nicht denkbar ohne permanenten Einsatz des Selfiesticks. Logisch, zitiert Strömquist auch die US-Intellektuelle Susan Sontag: «Das Fotografieren hat eine chronisch voyeuristische Beziehung zur Welt geschaffen.»

Ein ideales Geschenk für Pubertierende

Liv Strömquist hat eine clevere Methode. Ihre Ausgangsbeobachtung zielt auf eine philosophische Grundfrage: Warum fühlen junge Frauen beim Anblick der Kylie Jenner nicht dasselbe wie beim Anblick eines Sonnenuntergangs? Wo sie doch zu beiden «schön» sagen würden? Klar, weil sie sich gefangen nehmen lassen im Spiegelsaal. Dass das nicht immer so war, dass also Schönheit nicht wie heutzutage als Massstab der «Fuckability» galt, skizziert Strömberg mit Exkursen ins Mittelalter und in die frühe Neuzeit, als «vornehme Herkunft» wichtiger als Schönheit war, um eine «gute Partie» zu machen.

Ein grosser Genuss ist diese Graphic Novel, weil die bittere Analyse immerzu mit Ironie und Schalk transportiert wird: Der Essay wirkt dank der puppenhaft-kuriosen Figuren in ihren Zeichnungen jederzeit auch amüsant. So wird «Im Spiegelsaal» zum Erklärstück und zur prächtigen Unterhaltung, zum kulturgeschichtlichen Kurzparcours und zur pfiffigen Reflexion über die Tyrannei der Fotografie. Strömberg hat ein grossartiges Handbuch und ein ideales Geschenk für Pubertierende gezeichnet. Am Ende kann man natürlich sagen: Hey, emanzipiert euch – oder: Sich von Vorbildern zu lösen, nennt man wohl schlicht erwachsen werden. Allerdings sollte man eine Schwäche des Buches nicht verschweigen: Das Fazit ist vorhersehbar. Vielleicht baut ja Liv Strömberg ihre Analyse noch aus. Mimetisches Begehren und mimetische Rivalität spielen eben nicht nur im Feld der äusserlichen Schönheit, sondern auch bei anderen Vorbildern eine grosse Rolle: Greta Thunberg und Lady Diana, Brad Pitt oder Mahatma Gandhi – Heerscharen von Anhängerinnen und Anhängern eifern auch solchen Idolen nach. Wir würden das mit Vergnügen lesen!

Liv Strömquist: Im Spiegelsaal. Avant-Verlag, 168 S.