Romantisch meint heute landläufig schöne, sentimentale Momente mit Herzli und Kerzli. Mit der Kulturepoche der Romantik in Literatur, Musik oder Kunst hat das nicht mehr viel zu tun. Ausser, dass viel Gefühl und Sehnsucht dazugehören. Sonnenaufgänge inbegriffen.
Das Gemälde von Alexandre Calame mit dem Eiger, der schemenhaft aus dem gelblichen, unbeschreiblich schönen Morgenlicht auftaucht, liesse sich wohl bestens als romantische Wandtapete verkaufen. Vielleicht vorausgesetzt man würde den dunklen Vordergrund eliminieren. Denn die noch im Schatten liegenden, zwei Felszacken, der linke mit einem zaghaft – oder gar schaudernd? – in die Tiefe schauenden Geier, stören die Idylle. Sie sind dunkler Gegenpol zur wunderbaren, täglichen Wiedergeburt des Lichtes, zur Sehnsucht, die Natur pur erhaben über allen Widrigkeiten des Gewusels im Tal zu erleben.
Romantik und Schweiz: eine gewagte These
Ebenso brutal verfährt das Kunsthaus Zürich bei seiner Ausstellung «Die Romantik in der Schweiz» mit den Erwartungen. Die Schau taucht uns zuerst ins nächtliche Dunkel. Schummriges Licht und dunkelblaue Wände bilden das Umfeld für Albtraumbilder, made by Johann Heinrich Füssli. Dem Schweizer Maler, der in London als Henry Fuseli mit schwarzen Shakespeare- und Mythologie-Interpretationen Weltkarriere machte. Hier ist der einsame Schläfer im Morgenlicht flankiert von einem nächtlich übergriffigen Achilleus und dem «Schweigen», einer in sich zusammengesunkenen, gespensterhaft weissen Frauenfigur.
Johan Heinrich Füssli: Einsamkeit im Morgenzwielicht, 1794-96
© Kunsthaus Zürich
Doch war der Antikenfan Füssli überhaupt (schon) ein Romantiker? War er Teil dieser Epoche, die vor allem literarisch geprägt war und von Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte. Mit der Romantik in der Malerei verbinden wir Namen wie den Deutschen Caspar David Friedrich, den Engländer William Turner oder den Franzosen Eugène Delacroix. In der Schweiz ist die Suche und Zuordnung eher diffus. Weshalb Kurator Jonas Beyer denn auch nicht von Schweizer Romantik, sondern «Romantik in der Schweiz» spricht. Das erlaubt ihm, Friedrich als Beeinflusser von Schweizer Malern oder den von alpinen Szenerien entzückten Turner zu präsentieren.
Das Resultat einer Schweizerreise: Joseph Mallord William Turner, On Lake Lucerne, 1841
© The Courtauld Gallery London
Grosses Bildertheater und Höhenflüge
Er packt auch die Gelegenheit, den kaum bekannten Briten Ford Madox Brown zu zeigen, den Lord Byrons schwülstiger Alpenroman «Manfred» zu grossem Bildertheater inspiriert hat.
Umgekehrt waren Schweizer Künstler wie Johann Jakob Ulrich oder François Diday fasziniert von der Seefahrt, von Sturm und Schiffsunglücken.
Ein Engländer malt die Schweiz: Ford Madox Brown, Manfred on the Jungfrau
© Manchester Art Gallery
Ein Schweizer schaut auf internationale Gewässer: Johann Jakob Ulrich, Brennendes Dampfschiff auf stürmischer See, 1850-53
© Museum der bildenden Künste Leipzig
Dramatik bot die Besinnung auf die Schweizer Geschichte. Wilhelm Tell ist – nach der literarischen Sturm und Drang Vorarbeit Schillers – das beliebteste Sujet. Er wies den Ausweg aus der als nicht mehr attraktiv empfundenen Antike mit den klassizistischen Darstellungs-Normen. Keineswegs passé war aber Italien, das Land, in dem Goethe die Zitronen blühen liess. Heerscharen von Malern suchten das Licht, das Pittoreske, den Charme von Ruinen oder die Exotik bei Räuberbanden in ihren bunten Uniformen.
Das Réduit der Schweizer Romantik sind aber die Alpen. Angsteinflössend die Schöllenen und die Aareschlucht, erhaben der Blick auf die Gipfel, kraftvoll die Wettertannen, lustig sprühend die Wasserfälle, blendend rein und weiss die Gletscher. Ebenbürtiges zu den Höhenflügen der Bergromantiker können nur die Wolkenmaler bieten. Sie heben ab: naturalistisch, symbolistisch oder zum handwerklichen Vergnügen. Entzückend.
Die Tricks und Kniffs der romantischen Alpenmaler wie Alexandre Calame werden hier detailliert erläutert.