Was ist es, dass die Chinesen (und auch zahlreiche Europäer) in die Konzerte des Sinfonieorchesters Basel in Peking und Schanghai lockt? Dass das Orchester einmal von Johannes Brahms und Gustav Mahler dirigiert wurde, wirkt in China anziehend.
Ein Sonntag in Peking. Neben hunderten Touristen, die aus ganz China in die Verbotene Stadt strömen, mischen sich im angrenzenden Jingshan Park Einheimische mit ungewöhnlichen Freizeitbeschäftigungen. Neben kollektivem Tanzen und Gymnastik unter freiem Himmel, lässt sich hier an jeder Ecke die Musikbegeisterung der Chinesen live erleben. Die Vielfalt reicht von einer kleinen, entspannt wirkenden Kombo mit traditionellen Zupf-Instrumenten, über eine streng aussehende Solo-Sängerin im roten Kleid bis zu einer Art «Spontan-Chor», der mit dem typisch kehlig-scheppernden Vibrato, überzogen von einer dicken Pathos-Schicht, chinesische Volkslieder übt. Ein weisses Tuch mit aufgemalten Schriftzeichen hängt als Partitur im Baum und der Dirigent führt die etwa zehnköpfige, überwiegend ältere Gruppe, zu der immer mal wieder jemand hinzu stösst.
Die Musikbegeisterung der jüngeren Generation lässt sich hingegen im Konzertsaal erleben. Ein Selfie vor dem Konzert mit der Eintrittskarte in der Hand und vor dem überdimensionalen Konzertplakat im Foyer ist ein Muss. Andere hören schnell noch einmal den Feuervogel auf dem Handy an. Im Konzert selber müssen die Handys allerdings in der Tasche bleiben. Wer sich nicht daran hält wird in Peking mit einem Laserpointer darauf aufmerksam gemacht und in Shanghai vom Aufsichtspersonal mit einem Leuchtschild «No Camera» zurechtgewiesen.
Was ist es, dass die Chinesen (und übrigens auch zahlreiche Europäer) in die Konzerte des Sinfonieorchesters Basel in Peking und Schanghai lockt? Natürlich sind es die Namen des Solisten Fazil Say und des Dirigenten Dennis Russel Davies. Aber in den Konzertankündigungen liest man auch von der Geschichtsträchtigkeit des Klangkörpers. Dass das Orchester einmal von Johannes Brahms und Gustav Mahler dirigiert wurde, wirkt in China anziehend. Hier wurden zwar in den letzten Jahren in allen grösseren Städten hervorragende Konzertsäle gebaut, es mangelt aber an guten, professionellen Orchestern. Auch zum Konzert im gigantischen Glaspalast des Oriental Art Center in Shanghai, in dem gleichzeitig nebenan eine chinesische Oper und ein Kammermusikkonzert programmiert waren, kamen zahlreiche Besucher, unter ihnen viele Europäer. Überraschend paradox sind die unterschiedlichen Publikumsreaktionen. Das lebendige Shanghai gilt traditionell als kulturaffiner als andernorts, und seine Bewohner sind zwar aufgeschlossener - so wird man bereits im Taxi mit einem kräftigen und freundlichen «Nihao» begrüsst. Dafür applaudieren die Besucher im Konzert etwas weniger euphorisch. Die Kontaktaufnahme mit den Menschen in Peking fiel dagegen generell etwas schwerfälliger aus und trotzdem gerieten die Pekinger deutlich mehr aus dem Häuschen und applaudierten ausdauernder, besonders bei der Zugabe «Jasmin», einem chinesischen Volkslied.
Doch das war nicht das einzige chinesische Stück, dass das Sinfonieorchester im Gepäck hatte. «Antiphony» von der 1953 geborenen Chen Yi, die als erste Frau in Peking ein Kompositionsstudium abschloss und später in den USA lebte, baut auf klanglichen Motiven aus der chinesischen Volksmusik auf. Mit Dennis Russell Davies verbindet die Komponistin eine lange Zusammenarbeit. Einige ihrer Stücke hat er mit verschiedenen Orchestern in den USA uraufgeführt. «Antiphony», das Mitte der 1990er Jahre entstand, klingt mit den repetitiven und rhythmischen Motiven auch etwas nach Minimal Music. Ebenso rhythmisch betont klingt das dritte Klavierkonzert von Beethoven in der Interpretation von Fazil Say. Ihm jubelte in Shanghai auch eine Gruppe türkischer Fans zu.
Nach vier Tagen Dichtestress pur in den Stadtwüsten der chinesischen Megacitys darf das Orchester nun den Blick auf die malerische Bucht von Tongyeong und die angrenzenden grünen Hügel geniessen. Zwei Sinfoniekonzerte im Rahmen des Tongyeong International Music Festival mit dem Solisten Fazil Say, der diesjährige Composer in Residence beim Festival, stehen auf dem Programm. Ausserdem präsentiert sich Dennis Russel Davies in einem Konzert zusammen mit seiner Frau Maki Namekawa – beide als Pianisten. Sie spielen Igor Strawinskis «Le sacre du printemps» in der Version für Klavier zu vier Händen. Zusätzlich tritt eine Kammermusikformation des Sinfonieorchesters Basel mit Oboen-Quartetten auf. Zur gleichen Zeit finden in der Stadt ein Austernfestival. Zwei Veranstaltungen statt, die sich hervorragend ergänzen sollten.