Das SRF übertrug die Gotthard-Eröffnung in einer sechsstündigen Live-Sendung und zeigte, was eine Tunneleröffnung nicht ist: ein TV-Ereignis.
Das Volk durfte als erstes durchs Loch. 1000 «Vertreter der Bevölkerung» in zwei Extrazügen. Gezogen von der Symbolkraft, begleitet durch einen nervösen SRF-Aussenreporter, der die Teilnehmer des Stimmbürger-Extrazugs unter anderem fragte, wieso sie hier seien und darauf die ernüchternde Antwort erhielt: «Weil ich beim Wettbewerb mitgemacht habe.» Tja. Ok.
Keine Frage: Die Gotthard-Eröffnung ist ein Jahrhundertereignis für die Schweiz. Die europäische Politprominenz reiste an. Die Weltpresse berichtete. Logisch also, dass das SRF klotzen wollte. Sechs Stunden Live-Sendung hatte man angekündigt. Produziert durch 87 Mitarbeiter. Ab 10.15 Uhr wurde gesendet. Bereits am Mittag wussten alle Zuschauer: Der Gotthard ist ein Mythos. Seine Untertunnelung eine epochale Leistung. Und seine Eröffnung kollossal langweilig.
Gotthard-Eröffnung: Hier donnert die Patrouille Suisse vorbei
Zu Ehren der Gotthard-Basistunnel-Eröffnung flog die Patrouille Suisse eine spektakuläre Flugshow für alle anwesenden Gäste.
Und das ist nicht einmal die Schuld des SRF. Denn eine perfekt vorbereitete Susanne Wille moderierte sich souverän und vielsprachig durch den Gotthard-Tag. Stellte verdutzten Verkehrsministern aus Nachbarländern harte Fragen. Bewies einmal mehr, dass sie die beste Polit-Moderatorin der Schweiz ist.
Zudem durften die Zuschauer einigen durchaus historischen TV-Ereignissen beiwohnen. Zum Beispiel der grössten Verwandlung der Schweizer Polit-Geschichte seit Ulrich Giezendanners Glatze-Coming-Out: Die ehemals spröde, strenge Gabi Huber, Ex-Fraktionsvorsitzenden der FDP, hat sich in eine lockere, gelöste Frau verwandelt. Sie beantwortete beschwingt Fragen zu ihrer Rolle als bierspendierende Tunnel-Patin. Zudem durfte man einem Tessiner TV-Journalisten namens Fabio Storni zusehen, wie er souverän in wenigen Minuten Francois Hollande, Matteo Renzi und Angela Merkel interviewte. Und Adolf Ogi. Ja, Adolf Ogi ist so oder so immer ein Ereignis.
Mit «Sacre del Gottardo», einem Spektakel mit 600 Darstellern, eröffnete Theaterregisseur Volker Hesse den Gotthard-Basistunnel.
Doch all das konnte leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Akt der Tunneleröffnung absolut TV untauglich war. Der Durchstich im Jahr 2010 kulminierte in einem telegenen Höhepunkt: herunterstürzende Felsbrocken, jubelnde Mineure, sich umarmende Ex-Bundesräte. Das ist TV-Stoff. Gestern bestand der dramaturgische Höhepunkt darin, dass Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und Bundesrätin Doris Leuthard vor den Tunnelportalen in Nord- und Süd eine Rede hielten und anschliessend zwei Züge durch den Tunnel fuhren und auf der anderen Seite wieder rauskamen. Darin Menschen, die sich freuten, zu den ersten Passagieren zu gehören. Denen es aber abgesehen von der Wiederholung symbolischer Phrasen auch schwerfiel, das Spezielle an dieser Tunneldurchfahrt in Worte zu fassen. Kein Wunder: Tunnel ist Tunnel. Ob alt oder neu. Man fährt rein. Und irgendwann wieder raus.
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Irgendwann, nach dem dreissigsten Verkehrsexperten, der sich implizit selbst zu seinem persönlichen Beitrag zu diesem Jahrhundertwerk gratulierte, war man froh, dass die Fest-Organisatoren auf den bewährten Trick von Veranstaltern ereignisloser Symbol-Events zurückgreifen konnte: die Inszenierung. Der unumgängliche Volker Hesse veranstaltete mit der Hilfe von 600 Schauspielern ein Symbolik-Musical. Tänzer in orangenem Mineur-Outfit. Bahnwagen-Choreografien. Berggeister-Naturjodel-Performances. Insgesamt eine Mischung aus der Eröffnung Olympischer Spiele und einer Cirque- du-Soleil-Aufführung.
Aus TV-Konsumenten-Sicht muss man ganz klar sagen: Der Bau der zweiten Gotthard-Strassenröhre ist keine gute Aussicht. Denn auch der muss irgendwann eröffnet werden.
Glückliche Gewinner: 1000 Personen dürfen als erste durch den Gotthardtunnel fahren
Arth-Goldau – 1.6.16 - Rund 1000 Personen dürfen am Mittwochmittag als erste durch den Gotthard-Basistunnel fahren. Sie sind die Gewinner eines Wettbewerbs, an welchem rund 160’000 Menschen teilgenommen haben. Mit dabei ist auch eine Schulklasse aus der Gemeinde Root (LU). Bei der Erstfahrt fahren zwei Eröffnungszüge gleichzeitig von Norden und Süden durch den Tunnel.