Wer früh das Geigenspiel lernt, bildet sein Nervensystem aus und lernt, zu führen.
Die Geige schmerzt am Hals sowie am Kinn, und wenn ein Kind eine halbe Stunde stehend übt, glaubt es danach, 200 Liegestütze gemacht zu haben. Oft ists auch noch für die Katz, denn ist das Instrument mal verstimmt, verzweifelt die Achtjährige im Übungsraum. Und noch schlimmer: Auch perfekt gestimmt, klingt die Geige bei nicht perfektem Spiel schrecklich.
Bei allem Pein: Die Geige fasziniert gerade Kinder. Sie hören nämlich durchaus, wie der Klang sein könnte, sehen, wie im Fernsehen beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker goldgelbe Geigen, Celli und Bratschen im Scheinwerferlicht leuchten. Da werden Töne entfacht, wie sie kein anderes Instrument erschaffen kann.
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Schmerzlich klar wird den Achtjährigen: Geigentöne sind geschaffen von Menschenhand. Das macht sie so charaktervoll. Und der Stolz, wenn man es von der kleinen Fabrikgeige zur handgefertigten Meistergeige schafft, ist unbeschreiblich. Da kann die Flöte oder Klavier spielende Schwester nicht mehr mithalten. Und nebenbei: Durch das Spiel auf der Geige entstehen neue Nervenverbindungen, die nach und nach ein feines Netzwerk im Gehirn bilden.
Doch wie vorankommen? Bringt der Zwang der Eltern etwas? Wahrscheinlich schon: Bei Mathematik fragt auch keiner danach. Aber was bringt Algebra mit 40? Da wäre eine schön gespielte Bach-Partita mehr wert. Bald lockt dem Klein-Paganini das Streichorchesterchen, bald das Orchester am Gymnasium. Wer dort den Ton angibt, spielt auch im Leben die erste Geige, lernt er doch hörend, wie ein Kollektiv funktioniert. Verlierer spielen die zweite Geige. So existieren denn auch von berühmten Komponisten Geigenschulen, die Industrie unternimmt viel, um halbe und ja sogar 1/32tel-Geigen zu bauen.
Doch die Geige trägt den Kopf gar nicht so hoch, wie es bisweilen scheint, war sie doch bald ein Instrument für die Volksmusik, wurde dann nicht gespielt, sondern gefiedelt – selbst in Indien und auf den Philippinen.
Die Geschichte zeigt eine Vielzahl von Geigenvirtuosen seit 300 Jahren. Mit Niccolo Paganini (1782–1840) wurde der Teufelsgeiger erschaffen. Doch schon vorher erschuf ein Komponist die Teufelstrillersonate. Und ein Jascha Heifetz spielte 1952 (auf einer Aufnahme) Bachs Konzert für zwei Geigen ohne Partner.
Die Legenden des 20. Jahrhunderts – Oistrach, Heifetz und Menuhin – prägen bis heute das Bild der Klassik. 1976 tauchte Anne-Sophie Mutter auf und spielte schulterfrei Mozart. Vanessa Mae (1978), die Geige spielend im Wasser stand, musste folgen. Die Geige schaffte es ins Märchen und dank Nigel Kennedy, David Garrett und André Rieu gar in die Stadien.
Die Wundertöne machen süchtig. Kein Wunder, gab es bald einen Kult um die besten Geigen. Die teuerste Geige wurde für 16 Millionen Dollar versteigert. Sie stammt von Guarneri del Gesù, er lebte von 1698 bis 1744 zeitgleich mit dem legendärsten Geigenbauer, mit Antonio Stradivari (1644–1737), in Cremona. Die teuerste Stradivari kostete 15,9 Millionen Dollar. Geigen kann man aber auch ab 70 Franken kaufen. Die teuerste von Peter Greiner wurde 2014 auf einer Auktion für 94920 Dollar verkauft. Wer eine will, muss einige Jahre warten.