#Dichterdran: Wie aus Sexismuskritik auf Twitter ein neues Buch entstand

Drei Autorinnen drehen ironisch Stereotype männlicher Literaturkritik. Das Beste steht nun im Buch «Hemingways sexy Beine».

Hansruedi Kugler
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Kein Schriftsteller zu gross, um von ihnen verulkt zu werden: Nadia Brügger, Güzin Kar und Simone Meier (von links), die Buchautorinnen von «Hemingways sexy Beine». Bild: Severin Bigler

Kein Schriftsteller zu gross, um von ihnen verulkt zu werden: Nadia Brügger, Güzin Kar und Simone Meier (von links), die Buchautorinnen von «Hemingways sexy Beine».
Bild: Severin Bigler

Bereits das Titelbild ist neckische Ironie. Was sagen Ernest Hemingways nackte Waden «über den ganzen Mann und erst recht über den Schriftsteller»? Das fragen die Journalistin Simone Meier, die Drehbuchautorin Güzin Kar und die Literaturwissenschafterin Nadia Brügger im Vorwort von «Hemingways sexy Beine». Und geben ein wenig enttäuschend gleich die Antwort: «Natürlich rein gar nichts.» Was im Umkehrschluss heisst: Autorinnen sollen bitte auch nicht auf ihr Äusseres reduziert werden, was leider zu oft geschehe.

Ein Aufschrei hallte im Sommer durch die sozialen Medien, und Hemingway ist nun nur eines der Ersatzopfer im ironischen, feministischen Rachefeldzug. Ein Foto der jungen irischen Schriftstellerin Sally Rooney und eine als herablassend empfundene Kritik lösten eine Twitterkampagne aus. Martin Ebel, einer der angesehensten Literaturkritiker im Lande, hatte in seiner Besprechung des Romans «Gespräche mit Freunden» von Sally Rooney im «Tages-Anzeiger» genervt über die Vermarktungsmaschinerie geschrieben: «Auf dem Foto des ‹New Yorker› sieht die Autorin aus wie ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen.» Und: «Bei Sally Rooney gibt es Szenen, die von Marivaux abgeschrieben sein könnten.»

Beides ist natürlich zulässig: die Kritik an der Marketingstrategie des Verlags und ein stilistischer Vergleich. Die Rezension brachte aber die Zürcher Literaturwissenschafterin Nadia Brügger in Rage, denn in Ebels Text ist eine Herablassung nicht zu überhören, für Brügger eine unzulässige Würze: «Solche Rezensionen ... sind so dermassen peinlich, dass ich mich eigentlich gar nicht darüber aufregen möchte, muss aber doch.» So Brüggers etwas zu aufgeregter Tweet.

Haha, jetzt kommt ihr Dichter dran!

Man musste schon befürchten, dass hier ein griesgrämiger Schlagabtausch beginnt. Weit gefehlt. Zusammen mit Simone Meier und Güzin Kar kehrte Brügger den Groll in Spass, oder wie man heute sagt: Statt Hate-Speech begannen sie Fun-Speech. Wie eine Spass-Guerilla drehten sie den Spiess satirisch um und schrieben freche Bonmots über Literaturheroen unter dem Hashtag #dichterdran. Haha, jetzt kommt ihr dran!

Im Sammelband «Hemingways sexy Beine» sind nun die besten abgedruckt. Etwa:

Simone Meier verulkt hier Thomas Mann, den seine Kinder nie im Arbeitszimmer stören durften und dessen Frau Katia ihr Leben komplett in den Dienst ihres Nobelpreisgatten stellte.

Etwas abgegriffen das Bonmot von Güzin Kar über Brecht, dessen Erfolg auf der Ausbeutung kreativer Liebhaberinnen beruhe.

Dass Arthur Miller als Ehemann von Marilyn Monroe keine Mühe gehabt habe, einen Verlag zu finden, ist hingegen eine absurde, aber lustige Umdrehung.

Einiges liest sich als humorloser Verriss: «Joël Dickers Züge zeugen vom kantenfreien Charme eines Chefstewards. Genau so sind seine Bücher.» Aalglatte Oberflächlichkeit in Person und Werk. Da muss man befürchten, Simone Meier meine den Verriss ernst.

Zur entspannten Ironie muss man die drei beglückwünschen. In den sozialen Medien leider die Ausnahme. Die Reihe von ironischen Racheakten auf Twitter vergrösserten sich zu einer furiosen Kampagne, an der sich auch Sibylle Berg beteiligte. Das alles freilich mit einer übertriebenen Attitüde. Als ob Chauvinismus die Regel wäre in Literaturbesprechungen. Als ob sich Literatur gegen den medialen Megatrend der Personalisierung stemmen könnte. Im Vergleich mit den roten Teppichen an Filmfestivals, auf denen Künstlerinnen sich freiwillig in glamouröse Modepüppchen verwandeln, setzt der Literaturbetrieb jedenfalls immer noch auf ein Minimum an Oberflächlichkeit.

Hemingways selbstgefälliges Marketing

Sagen die nackten Beine aber nun wirklich nichts aus über Hemingway? Stimmt, wenn man der Ansicht ist, dass Werk und Person nicht verwechselt werden dürfen. Sollte man auch nicht. Die meisten tun es aber eben doch, immerzu, ein wenig – zum Dauerärgernis der Literaturwissenschaft.

Hemingway auf dem Buchcover ist aber wohl irreführend. Denn der amerikanische Schriftsteller liess sich nicht nur in legerem Segleroutfit, sondern auch mit einem Fuss auf erlegtem Löwen und mit nacktem Oberkörper und Gewehr im Anschlag fotografieren. Das war selbstgefälliges Marketing, Lifestyle als provokativer Machismo und gleichzeitig Hohn auf das biedere Büroleben seiner Leser. Aus heutiger Sicht wirkt das skurril. Kein Autor würde sich heutzutage so fotografieren lassen – nur Politiker vom Schlag eines Wladimir Putin.

Haben die Hemingway-Fotos nichts mit seinen Werken zu tun? Der Abenteurer-Machismo zumindest ist dauerpräsent in Hemingways Büchern. Was für ein Kontrast etwa zu den Fotos des stets grossbürgerlich zugeknöpften Thomas Mann! Ein Blick in heutige Verlagskataloge aber zeigt: Die Selbstinszenierungen sind auf das Minimum reduziert.

Viel erkennt man nicht in den Porträts: Meist lächeln Autorinnen und Autoren freundlich, ab und zu sieht man ein bisschen konzentrierte Melancholie. Sogar die Zigaretten sind verbannt – ausser Peter Stamm raucht kaum einer mehr auf Porträtfotos. In unserer bildvernarrten Zeit müsste in der Marketingabteilung jeder schreien: Langweilig!

Langweilig will auch das Feuilleton nicht sein. Was an das unsägliche «Fräuleinwunder» in der deutschen Literatur erinnert. Mit dem Begriff hatte der «Spiegel»-Journalist Volker Hage 1999 mehrere bemerkenswerte Romane jüngerer deutscher Autorinnen wie Karen Duve, Jenny Erpenbeck oder Alexa Hennig von Lange mit einem scheinbar aufregenden Etikett versehen.

Man mochte dies als verzweifeltes Marketing belächeln, mit dem Verlage wie Zeitungen Aufmerksamkeit für Literatur erregen wollen – über den Kreis von Bücherfans hinaus. Es ist stets ein zwiespältiges Ziel. Die rabiaten Fernsehstreitereien in Marcel Reich-Ranickis «Literarischem Quartett» litten unter demselben Problem. Nur eben war der Begriff «Fräuleinwunder» schon mehr als angerostet. Er stammt aus den 1950er-Jahren und bezeichnete die kecke, hübsche, unbekümmerte junge Frau im Nachkriegsdeutschland. Vorbild war Miss Germany 1950, Susanne Erichsen, die als «Botschafterin der deutschen Mode» auf USA-Tour ging.

Bei aller Freude an der satirischen Umdrehung in «Hemingways sexy Beine»: Die Zeiten, als Autoren als Heroen und Autorinnen mit dem Etikett «Fräuleinwunder» im Literaturbetrieb besondere Aufmerksamkeit bekamen, sind zum Glück vorbei. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Buchtipp:

Simone Meier, Güzin Kar, Nadia Brügger
Hemingways sexy Beine
Kein und Aber
80 Seiten
Ab 8. Oktober im Handel