Zaha Hadid, der Star unter den Stararchitekten, ist tot. Mit ihr verliert die Architekturwelt eine der wichtigsten und schillerndsten Figuren der Gegenwart.
Das Wort Stararchitekt sollte man nur mit Bedacht, wenn überhaupt, verwenden. Aber für Zaha Hadid trifft es zu. Die Architektin war berühmt, bevor sie einen einzigen Bau realisiert hatte. Sie galt als Vordenkerin, als Utopistin und als Erneuerin. Anfangs nur aufgrund waghalsiger Entwürfe.
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Nach ihrem Studienabschluss 1977 bei Rem Kohlhaas an der Architectural Association School (AA) in London gründete sie 1980 ihr eigenes Büro. Ihr internationaler Durchbruch war der Entwurf für den Peak Leisure Club in Hongkong von 1983, der 1988 im MoMa New York an der Ausstellung «Deconstructivist Architecture» gezeigt wurde. Ihre grossformatigen Zeichnungen, welche die Stadt als dynamisches Erlebnis – und nicht wie üblich als statische Erscheinung zeigten – sorgten für Furore. Gebaut wurde davon nichts, aber Hadids Manifest wirkte nach.
Auch für sie. Das Etikett Dekonstruktionistin wurde sie seither nie mehr ganz los. Falsch war es nicht, berief sie sich doch auf die russischen Dekonstruktivisten wie Tatlin und Malewitsch von Anfang 20. Jahrhundert. Und sie konstruierte ihre frühen Modelle und Bauten nach dem Prinzip des Zerlegens und neu Zusammensetzens. Doch eigentlich war es ihr erklärtes Ziel, eine neue Architektursprache, eine neue Moderne zu finden – dies auch als Reaktion auf die überkandidelte Postmoderne, die sich Ende der 1970er-Jahre zu erschöpfen begann.
Geboren wurde Zaha Hadid 1950 in Bagdad, sie wuchs im irakischen Mosul auf, als man noch westlich leben durfte – ihr Vater war Unternehmer, Finanzminister und Mitbegründer der Iraqi Democratic Party. Das Mädchen war begabt – beispielsweise für Mathematik (was es später in Beirut auch studierte), und es war schon damals begeistert für Architektur. Es soll – so will es die Legende – sein Kinderzimmer selber entworfen haben. So gut, dass es mehrfach nachgebaut wurde.
Als Architektin musste Zaha Hadid allerdings lange warten, bis sie sie zu ihrer ersten «echten Baustelle» kam. Ihre Entwürfe waren vielen Bauherren zu kühn und zu ungewiss. Erst 1993 wagte es Vitra-Besitzer Rolf Fehlbaum als Erster. So wurde die Vitra-Betriebsfeuerwehr in Weil am Rehin zum ersten realisierten Werk der berühmten Architektin. Auch in den folgenden zehn Jahren baute sie nur wenig: eine Strassenbahn-Haltestelle in Strassburg und 2003 eines ihrer formal bestechendsten Werke, die Bergiselschanze in Innsbruck. Das mag exotisch anmuten, aber tatsächlich interessierten die Architektin solch kleine Formen, solche Ingenieurwerke, weil sie hier ihre Formensprache stärker akzentuieren konnte als etwa bei Geschäftshäusern oder Wohnbauten.
2004 war der Damm gebrochen. Zaha Hadid bekam nicht nur als erste Frau überhaupt den Pritzkerpreis verliehen, sondern auch Aufträge aus aller Welt. Sie baute in China, in den arabischen Staaten, in den USA, in Deutschland, in Grossbritannien. Dutzende von aufsehenerregenden Gebäuden, deren aufwendiges Äusseres aber nicht immer auch den erhofften inneren Nutzwert einlösen konnte. Umstritten ist etwa, ob ihr Museumsbau MAXXI in Rom als Museum taugt.
Waren Hadids frühe dekonstruktivistische Projekte einer Hard-Edge-Ästhetik verpflichtet, also spitzen Winkeln und scharfen Kanten, suchte sie in den letzten Jahren eine «Verflüssigung der Formen», wie sie selber sagte. Ihre Bauten sollten zu «Kommunikations- und Bewegungskanälen der Städte» werden. So sind die grossmassstäblichen Gebäude der letzten Jahre geprägt durch rasante Kurven wie beim Pekinger Galaxy SOHO, gewölbte Dachkonstruktionen wie bei der Serpentine in London oder beim Entwurf des Olympiastadions für Tokio 2020. Das Auftrags- und Arbeitsvolumen ihres Büros ist gigantisch. 2015 arbeiteten in ihrem Londoner Büro rund 400 Architekten und Architektinnen an über 950 Projekten in 44 Ländern.
Wenig Glück hatte Zaha Hadid in der Schweiz. Ihre Erweiterung des Stadtcasinos Basel wurde 2007 vom Volk abgelehnt, Wettbewerbe für die Kunstmuseen in Zürich und Basel wie auch für den Flughafen Zürich konnte sie nicht gewinnen. «Hängt man hierzulande immer noch zu stark an der ‹Swiss Box›?», fragte dazu die «NZZ». Die Erklärung von Hadid: «Die Schweiz liebt Schachteln offensichtlich weiterhin. Dabei handelt es sich doch um ein gebirgiges Land – wo findet man denn schon gerade Linien? Nachgerade absurd mutete der Kommentar im Jurybericht an, der Entwurf für den Flughafen Zürich sei nicht «schweizerisch» genug. Man wusste doch, «worauf man sich mit mir einlässt».
Gestern ist Zaha Hadid im Alter von nur 65 Jahren an einem Herzinfarkt in einem Krankenhaus in Miami gestorben, wo sie wegen einer Bronchitis behandelt wurde. Die Architekturwelt verliert eine der wichtigsten und schillerndsten Figuren der Gegenwart.