Die Fotoausstellung «Nullachtfünfzehn» im «BelleVue», dem Kleinbasler Ort für Fotografie, veranschaulicht die Ambivalenz von Fremdem und Vertrautem. Die beiden Fotografinnen Eleni Kougionis und Marion Bernet rücken dabei Menschen ins Bild, die sich bewusst gesellschaftlichen Konventionen verweigern.
Ein Mann sitzt am Boden und verwendet sein Handy als Spiegel. Zwei seiner Freunde stehen über ihm und frisieren ihn. Der eine kämmt die Haare, der andere bearbeitet die Strähnen mit Haarspray nach oben zu einem perfekt geformten Irokesenschnitt. Sie bereiten sich vor auf ein Punkkonzert, das bald stattfindet.
Eleni Kougionis beobachtete diese Szene in Indonesien. Die Baslerin bereiste 2015 und 2018 das Land und kehrte nach insgesamt neun Wochen mit einer Fotoreportage zurück, die sie bis Ende Oktober im «BelleVue», im Kleinbasler Ort für Fotografie, präsentiert. Im Rahmen der Ausstellung «Nullachtfünfzehn» rücken Fotografinnen Eleni Kougionis und Marion Bernet Menschen ins Bild, die sich bewusst gesellschaftlichen Konventionen verweigern oder für das Verwirklichen ihrer Träume Widerstände überwinden (mussten).
In Indonesien, dem Land mit der grössten muslimischen Bevölkerung, steht die hiesige Punkszene in grossem Kontrast zur Scharia und zu traditionellen Werten. Immer wieder beobachtete Kougionis, wie Konzerte von der Polizei oder von radikalen Muslimen gestört oder gestürmt wurden. Die seit den 1980er-Jahren aktive und stetig wachsende Subkultur bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Zwängen und dem Drang zur Selbstbestimmung. Es wuchs eine vielfältige «Do it yourself»-Kultur heran, die vielen Menschen mitunter das Überleben ermöglicht. In Kollektivwohnungen oder -häusern entstehen mit Siebdruck hergestellte Bandshirts oder Aufnäher, Musikkassetten werden produziert oder Konzerte und Ausstellungen organisiert.
Kougionis tauchte dank der Unterstützung heimischer Punks in die riesige und vielfältige Szene auf der Insel Java ein. «Ich habe dort geschlafen, wo die anderen sich hinlegten. Am Boden, im Laden, so halb auf der Strasse. Die Gastfreundschaft war unglaublich gross.» Für viele – unter ihnen auch unzählige Kinder und Jugendliche – wurde die Szene zu einer Art Ersatzfamilie. Als Punks seien sie nie allein.
Fotografin Marion Bernet reiste für drei Wochen nach Kenia und dokumentierte dort die Ice Lions, das einzige Eishockey-Team in ganz Ost- und Zentralafrika, das zweimal die Woche in einem Luxushotel-Komplex in Nairobi trainiert. Das Feld ist zu klein und zu eckig und das Leben der Eislöwen alles andere als luxuriös, doch allen Widerständen zum Trotz verfolgen sie ihre Leidenschaft und träumen von den Olympischen Spielen.
«Ich finde es wichtig, dass wir uns immer wieder ein neues Bild von Afrika machen. Die Eislöwen sind einzigartig. Ich wollte sie unbedingt dokumentieren», betont die in Bern wohnhafte Fotografin Marion Bernet.
Die Ausstellung im «BelleVue» spielt mit Vertrautem und Fremdem, mit Gewöhnlichem und Ausserordentlichem. «Für diese Leute ist es normal, dass sie so leben – ob als Punk in Indonesien oder als Eishockeyspielerin in Kenia. Für andere scheint es untypisch, alles andere als nullachtfünfzehn», so Kougionis.
Auch Vorstellungen von Schweizer Normen finden Platz im Ausstellungsraum an der Breisacherstrasse. Kougionis zeigt neben der Punkszene in Indonesien alternative Lebensräume in der Schweiz. Ein Mann mit Haarband im Bart, Kapitänsmütze und bunter Halskette blickt in Gedanken versunken vor sich hin. Er lebt in seinem selbst gebauten Zuhause namens «Morgenland» am Stadtrand von Winterthur. Der Wohn- und Werkplatz des freischaffenden Holzbildbauers ziert unzählige bunte Objekte.
Kougionis besuchte und fotografierte ihn in seinem Zuhause, wie auch all die anderen Porträtierten, die sich bewusst den normierenden Lebensentwürfen verweigern. Darunter eine Frau, die ihr Wohnzimmer mit ausschliesslich pinkfarbenen Möbelstücken einrichtet, oder ein Ehepaar, das in einem Waldhaus wohnt. Egal ob im Wohnwagen, im Frachtschiff oder im Ökodorf lebend, ob in der Schweiz oder sonst wo zu Hause – die Ausstellung fragt nach heimischen Konventionen und dem Wunsch von Selbstverwirklichung. Es sind wunderbare Fotografien, die den Betrachtenden staunen und nachdenken lassen.
Die Ausstellung schliesst mit Objektbildern aus «Don Juan Pedros Wunderkammer» von Marion Bernet. Don Juan Pedro, alias Hans Peter Straumann, hat auf seinen zahlreichen Forschungs- und Vergnügungsreisen durch die Länder dieser Welt Gegenstände zusammengetragen; es sind aber nicht nur exotische Artefakte fremder Kulturen, sondern auch aus unserem Alltag vertraute Objekte: eine Ovomaltinedose zum Beispiel.
«Nullachtfünfzehn», bis Sonntag, 31.10., BelleVue – Ort für Fotografie, Breisacherstrasse 50, Basel. www.bellevue-fotografie.ch