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Rassismus-Vorwürfe im Vorfeld und politische Korrektheit als tragendes Sujet: Die Basler Fasnacht hat eine ausgeprägte Allergie gegen jegliche Zensurversuche. Sie sieht sich als Spiegel der Gesellschaft – und kommt mit Empörung bestens zurecht. Eine Einstimmung.
Wir zählen schon die Stunden. Denn es sind ja eigentlich keine Tage mehr, nur noch Stunden, dann ist Morgestraich und das Kostüm hängt – Himmel nochmal! – immer noch an der Kleiderstange im Keller. Da nüchtelt es vor sich hin, dabei ist doch schon März, und Fasnacht beginnt so spät wie schon lange nicht mehr.
Dabei haben wir den Frühling nach diesem Februar schon hinter uns, den wir aber auch nur mit einem schlechten Gewissen geniessen durften, denn wir befinden uns in Basel ja im Klimanotstand, so will es der Grosse Rat, die Resolution ist bereits beschlossene und überwiesene Sache. Dass dieses Klima die Sujetliste des Fasnachtsführers Rädäbäng nicht massgeblich beeinflusst, ist wohl einzig den für viele Sujetsitzungen viel zu spät durchgeführten Klimastreiks zuzuschreiben.
Dafür dominiert ein anderes Klima die Fasnacht: Rassismus. Ja, was darf man bloss noch sagen, was darf man wohl noch sagen? Darf man als Gugge noch Negro-Rhygass oder Mohrekopf heissen? Droht tatsächlich, wie vor Kurzem als aufgeschnapptes Kleinbasler Beizengerücht kolportiert, auch noch ein Farbanschlag auf die zwei Guggen? Muss sich jetzt die Basler Fasnacht fürchten, Fasnacht zu sein?
Nein. Obwohl sie, die so lange für sich in Anspruch nehmen konnte, der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten und so kritisch zu sein, geradezu ein politisches Korrektiv zu sein, nun selbst den Spiegel vorgehalten bekommt. Und sich plötzlich einer gewaltigen Empörungswelle gegenübersieht, denn wenn man nicht mehr Negro sagen darf, was darf man denn sonst alles nicht?
Mehr als das Argument der «Tradition» anzuführen hatten die Namens-Sympathisanten auch nicht. Der Rassismus-Vorwurf, der sich vor allem auf die Logos der zwei Guggen bezogen hatte – Karikaturen von Schwarzen, die einem kolonialistischen Weltbild entsprangen – schnitt tief ins Fleisch. Umso tiefer, weil der Vorwurf nicht spezifische Sujets oder Kostüme traf, sondern Inbegriffe der Vereinsidentität: Namen und grafisches Erscheinungsbild.
Jetzt stehen wir da, die Fasnacht vor der Türe, das Kostüm entweder schon parat oder meinetwegen halt immer noch im Keller, und sehen uns schon wieder einer Fasnacht gegenüber, die sich in der Pflicht sieht, ein politisches Statement abgeben zu müssen. Waren es vergangenes Jahr noch Tierschützer, die gegen Pferde vor Chaisen wetterten, so war dieses Jahr die Empörungswelle ungemein grösseren Ausmasses. Ja, es schien um nichts Geringeres zu gehen als den Fortbestand des Zusammenlebens und der Redefreiheit ohnehin.
Daran biss sich auch die Vorfasnacht die Zähne aus, auf Bühnenprogrammen und in Schnitzelbängg. Denn wie sich zeigte, ist das Problem kein Problem der Basler Fasnacht an sich, dieser irren, wirren Gesamtinszenierung aus gesellschaftspolitischen Sujets, die ihre Tradition auszeichnet. Das Problem der Guggen ist ein individuelles. Nicht die Fasnacht muss sich die Sinnfrage stellen, sondern die Einheiten müssen sich fragen: Macht das so noch Sinn?
In der vor der Fasnacht erfolgreichen Kino-Dokumentation «Yschtoo zur Basler Fasnacht» sagte einer der porträtierten Aktiven: Die Fasnacht solle sich nicht nur wandeln, sie müsse es sogar, «sonst wird sie nur noch zur Folklore». Insofern ist es der Basler Fasnacht sogar abträglich, sich auf Traditionen allein um der Traditionen willen zu berufen.
Natürlich kommt es in vier Tagen zu einem gewaltigen, unangenehmen Aufbäumen. Keine Empörungswelle in Basel, ohne dass die Fasnacht diese Empörungswelle nicht aufgreifen und ausspielen würde. Wie der Zug der Basler Bebbi unter dem Motto «Bimbotown – Neuigkaite us em Dschungel» aussehen wird? Zweifelsohne wird es nicht ohne ein gewisses Gruseln gehen, das einem dieses Sujet durch die Knochen jagt. Dafür stehen die Bebbi mit ihrem Namen und ihrer jüngeren Sujetgeschichte.
Oder der Stammverein Olympia, der unter dem Rädäbäng-Eintrag «Olympia – Du faltschi Schlange!» angibt: «Wie bim Voordraab und de Pfyffer sin au d Drummler erhabeni, raini, und fast scho gettligi Guetmentsche. Wie bi de Andere verbirgt sich aaber au hinder jeedem vo iine e faltschi Schlange.»
Ist das politisch korrekt? In der Formulierung kaum. In der Umsetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht. Aber es ist das, wofür die Fasnacht steht. Sie wird der Empörung den Spiegel vorhalten – in der ihr eigenen Empörung, durch Tausende von Köpfen gespiegelt. Aber was sie nicht tun wird, ist das Problem der kritisierten Guggen lösen. Sie wird es höchstens mildern.
So glänzt die Fasnacht wieder in der ihr ureigensten Disziplin, der Wandelbarkeit. Sie thematisiert, sie mobilisiert, sie motiviert – und das mag bitterböse sein, Satire im ganz grossen Stil – und sie leistet Widerstand.
Das ist die grosse Magie von Frau Fasnacht, das ist der Zauber, der ihr innewohnt und das Fortbestehen für lange, lange Zeit sichert: Sie leistet Widerstand – und erfindet sich damit immer wieder neu. Denn die Fasnacht ist ein Kosmos, eine Spiegelwelt im besten Sinn. In dem Moment, in dem es am Mäntig Vieri schloot, leitet sie die Läuterung ein.
So, jetzt holen wir aber wirklich endlich das Kostüm aus dem Keller, eilen noch schnell, schnell in die nächste Migros oder den nächsten Coop, denn natürlich haben wir die Batterien für die Kopflaterne schon wieder fast vergessen. Vielleicht legen wir auch noch den Regenschutz bereit. Denn im Gegensatz zu diesem wunderbar klimaverwirrten warmen Februar kann es ab Montag ziemlich nass werden.
Aber das ist dem richtigen Fasnächtler ziemlich egal, denn wenn das erste Ruessen durch Mark und Bein fährt, das Piccolo in diesen unglaublich lauten, wohligen Klang einstimmt, wenn man für einen kurzen Moment seinen Körper vergisst – dann gehört man dazu.
Ob die Fasnacht eine gesellschaftspolitische Krise durchlebt? Nein, die Fasnacht ist ewig. Aber wie sagt der Eingefleischte weise: «Dini Fasnacht mag dini sy, aber mini Fasnacht, die gheert mir.»