Rennsport
Unterwegs wie die Champions

Das Emil Frey Racing Team kämpft am Wochenende am 24-Stunden-Rennen in Spa um den Sieg. Wir haben seinen Boliden im Simulator getestet.

Philipp Aeberli
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Geballte Power: In diesem Lamborghini wollen die Schweizer in Spa einen Prestigeerfolg landen.

Geballte Power: In diesem Lamborghini wollen die Schweizer in Spa einen Prestigeerfolg landen.

Bild: zVg

Ich sitze in einem Lamborghini Huracán GT3 EVO, einem reinrassigen Rennwagen. Festgeschnallt in den engen Schalensitz, rolle ich aus der Boxengasse und drücke aufs Gas. Zehn Zylinder mit rund 500 PS schreien mich an. Am Lenkrad blinken blaue Lämpchen und zeigen, dass es Zeit ist, den nächsten Gang einzulegen. Ein Zug an der Wippe hinter dem Lenkrad, und der Wagen beschleunigt weiter. Die Rechtskurve taucht vor mir auf; man sollte sie eigentlich im dritten Gang fahren. Ich steige zu spät auf die Bremse, lenke zu stark ein – der Wagen dreht sich und landet im Kiesbett. «Bremsen und lenken gleichzeitig, das kann schnell ins Auge gehen», ruft mir Renningenieur Marco Schüpbach zu, während er den italienischen Renner per Mausklick unversehrt wieder in der Boxengasse parkt. Auch wenn sich der wenig elegante Abflug täuschend echt anfühlte: Ich sitze in Tat und Wahrheit mitten im Aargau, im Rennsimulator am Hauptsitz des Emil Frey Racing Team in Safenwil. Hier arbeiten rund 30 Leute daran, drei Lamborghini-Rennwagen für die zehn Rennläufe der GT World Challenge Europe vorzubereiten. In der Serie, die auf den grossen Rennstrecken Europas ausgetragen wird, kämpfen Profiteams um Sekundenbruchteile. Am Start stehen Autos von Audi, Aston Martin, Bentley, BMW, Ferrari, McLaren, Mercedes-AMG und Lamborghini. Die technische Basis kommt also von einem grossen Werk – der ­Aufwand, um ein solches Auto kon­kurrenzfähig ins Rennen zu schicken, ist für die Privatteams trotzdem gi­gantisch. In Safenwil werden die Rennwagen vor und nach jedem Einsatz zu weiten Teilen zerlegt, geprüft und für das nächste Rennen vorbereitet und abgestimmt. Die Atmosphäre in der grossen Halle gleicht dabei eher der im Spital als der in einer Autogarage. ­Jedes Rennauto steht auf seinem vorge­sehenen Platz, an dem akribisch gearbeitet wird. Zudem verfügt das Team hier über alles, was es für eine professionelle Rennvorbereitung braucht. Von einem Prüfstand für die Stossdämpfer über einen Übungsplatz für Boxenstopps bis hin zur Getriebewerkstatt. Doch nicht nur die Autos, sondern auch die Rennfahrer müssen sich auf jedes Rennen vorbereiten. Deshalb wurde in Safenwil ein hochmoderner Rennsimulator in­stalliert.

Zwischen Realität und virtueller Welt: Auch im Simulator sitzt man in einem echten Cockpit.

Zwischen Realität und virtueller Welt: Auch im Simulator sitzt man in einem echten Cockpit.

Bild: zVg

Simulator kann zum Formel-1- Cockpit umgebaut werden

«Den Simulator brauche ich vor allem, um mir den jeweiligen Streckenverlauf in Erinnerung zu rufen», sagt Ricardo Feller. Der 21-jährige Aargauer zählt zu den Nachwuchstalenten im Schweizer Rennsport. Er startete ab 2011 im Kartsport und fährt seit 2017 in mehreren GT-Serien. «Auch in einem sehr guten Simulator, wie wir ihn hier haben, ist das ­Fahren deutlich anders als im echten Rennwagen», meint Feller. Herzstück des Simulators ist ein Vorderwagen in Originalgrösse auf Hydraulikzylindern. «Das Cockpit ist bewusst Marken-­neutral gewählt, weil wir hier nicht nur unsere Renn-Lamborghinis simulieren können», erklärt Renn- und Simulator-Ingenieur Schüpbach. Zudem kann der Simulator sogar zum Formel-Rennwagen umgebaut werden. Denn die Anlage in Safenwil steht nicht nur dem Rennteam zur Verfügung, ­sondern kann auch von Kunden ge­mietet werden. Als Event- oder als Trainings- und Schulungsmöglichkeit für Rennfahrer. Auch virtuelles Rennstreckenfahren ist aufwendig – die Runden werden immer von einem Renningenieur überwacht und koordiniert. Trotzdem: Das Fahren im Simulator ist deutlich günstiger und obendrein umweltfreundlicher als echte Testkilometer. Zudem ist die Zeit auf den Rennstrecken oft sehr knapp, während sich die Rennfahrer im Simulator Zeit nehmen können. Das Lenkrad im Simulator ist identisch mit jenem im Rennwagen. Nur blickt man nicht auf eine echte Rennstrecke, sondern auf eine grosse, gebogene Leinwand, welche das gesamte Sichtfeld abdeckt. Über Lautsprecher kommt ein realistischer Motorenklang ins Cockpit – und über die Hydraulik unter dem Cockpit werden die G-Kräfte von Beschleunigung, Bremsen und Kurvenfahrt imitiert. «Allerdings deutlich weniger stark als im echten Rennwagen», weiss Ricardo Feller. Sehr ähnlich wie im Rennwagen sei allerdings die benötigte Kraft am Lenkrad. Sie ist überraschend hoch und hat nichts mit der bequemen, stark unterstützten Servolenkung in einem Strassenauto zu tun. Beim Rennwagen muss kraftvoll zugepackt werden, um die breiten Slick-Reifen zu lenken. Dafür bietet die Lenkung dem Piloten eine bessere Rückmeldung, sodass er genau abschätzen kann, wie viel Haftung der Reifen hat. Im Simulator wird dies über einen E-Motor hinter dem Lenkrad simuliert. Viel Kraft ist auch beim Bremsen nötig, hier gibt es im Rennwagen deutlich weniger Unterstützung als bei einem normalen Strassenauto. Für eine optimale Verzögerung muss das Bremspedal mit mindestens 80 Kilogramm getreten werden. Hinzu kommt, dass mit dem linken Fuss gebremst wird – das spart wertvolle Zeit. «Das Bremspedal gibt dem Fahrer im Simulator ­keine Rückmeldung. Das fehlt noch», kommentiert Feller. Denn im Renn­wagen spürt der Fahrer auch im Bremspedal, wie viel Haftung die Räder noch haben. Das ist entscheidend, wenn es um Hundertstelsekunden geht. Auch wenn der Simulator die Rea­lität nicht komplett originalgetreu abbilden kann – eine eindrückliche Demonstration sind die virtuellen Runden allemal. Schon auf den Geraden braucht es deutlich mehr Konzentration, als ich es vom normalen Strassenverkehr gewohnt bin; der Rennwagen ist nervöser und will regelrecht festgehalten werden. Gleichzeitig muss ich mir die Strecke merken, damit ich die Bremspunkte treffe. Bremst man zu früh, verliert man viel Zeit. Verpasst man den Bremspunkt, beendet man das Rennen schnell im Kiesbett. «Die Bremse im Rennwagen ist deutlich anders als in einem Strassenauto. Sie hält viele Runden aus, ohne zu ermüden. Den grössten Unterschied macht aber die Aerodynamik aus», sagt Feller. Die grossen Spoiler drücken das Auto durch den Fahrtwind auf die Strecke. Dadurch wird das Auto auf den Geraden zwar langsamer, weil der Luftwiderstand steigt, Kurven können aber deutlich schneller durchfahren werden. «Daran musste ich mich bei meinen ersten Runden in einem GT-Rennwagen zuerst einmal gewöhnen. Man muss die richtige Geschwindigkeit sehr genau treffen. Fährt man zu langsam in eine Kurve, erzeugen die Spoiler nicht genügend Anpressdruck, und man rutscht von der Strecke.»

Zwischen Realität und virtueller Welt: Auch im Simulator sitzt man in einem echten Cockpit.

Zwischen Realität und virtueller Welt: Auch im Simulator sitzt man in einem echten Cockpit.

Bild: zVg

Wo Sekunden zu Welten werden

Schon für eine einzige schnelle Runde muss also alles passen. Selbst am Simulator ist das nicht nur physisch, sondern auch mental fordernd. Nach einem Vormittag Üben gelingt mir eine einigermassen saubere Runde – die Ricardo Feller auf Anhieb um mehrere Sekunden unterbietet. Wobei im Rennsport bereits eine Sekunde einer kleinen Ewigkeit entspricht. Und das, obwohl die Abstimmung des Autos stark verändert wurde. «Wir haben eine entschärfte Variante programmiert, damit man auch als Amateur mit dem Auto umgehen kann. Für den Profi ist das aber eher ein Hindernis», erklärt Renningenieur Schüpbach. Beim 24-Stunden-Rennen im belgischen Spa teilen sich dieses Wochenende drei Fahrer ein Auto. Sie fahren jeweils bis zu drei Stunden am Stück – und legen im Rennen mehr als 500 Runden zurück. Das sind mehr als 3500 Kilometer. Sekundenbruchteile, die man auch durch das Training am Simulator in jeder Runde einsparen kann, summieren sich hier schliesslich zu Minuten – und können über Sieg oder Niederlage entscheiden. Einen Sieg konnte das Team aus Safenwil aus den ersten fünf Saisonrennen bereits mit nach Hause bringen. Das Langstreckenrennen in Belgien gilt als Höhepunkt der Saison und findet 2021 zufälligerweise genau zum Nationalfeiertag statt. Für das Schweizer Team ein zusätzlicher Ansporn, möglichst viele Punkte mit nach Hause zu nehmen.