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Ein Strafverfahren zieht sich seit Jahren hin. Die Staatsanwaltschaft räumt Fehler ein. Diese Woche sollte das Gericht entscheiden. Doch die beiden Beschuldigten waren krank.
Ein Gerichtspräsident versucht natürlich, sich nichts anmerken zu lassen. Aber ganz verstecken konnte Peter Wullschleger seinen Ärger nicht. Er hat sich bestimmt auf die Verhandlung vorbereitet. Hat die Akten studiert und sich überlegt, was er die beiden Beschuldigten fragen wird, denen die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm gewerbsmässiges Inverkehrbringen, Herstellen und Abgeben von Arzneimitteln vorwirft. Die zwei sollen von Juli 2012 bis zum 9. April 2015 in Brittnau und im Internet verschiedene Arzneimittel angeboten und verkauft haben, ohne über die erforderliche Bewilligung zu verfügen. Das Departement Gesundheit und Soziales hat am 27. Mai 2015 Strafanzeige eingereicht.
Bei den angebotenen Arzneimitteln handelte es sich nicht etwa um bekannte Medikamente. Die Beschuldigten priesen Ingwer-, Kurkuma-, Chili- oder Zimt-Kapseln als Heilmittel an. Je nach Inhaltsstoff versprachen sie, die Kapseln würden gegen Übelkeit helfen, seien gut für die Knochen oder stärkten das Immunsystem. Ausserdem hatten sie ein Wunderwasser im Angebot, das nach dem Beschuldigten benannt und auch von ihm hergestellt wurde. Dieses zeige «eine sensationelle medizinische Wirkung etwa bei der Wundheilung, bei Hauterkrankungen, aber auch bei Arthrose und Diabetes».
Gerichtspräsident Peter Wullschleger hätte sicher die eine oder andere Frage an die Beschuldigten gehabt. Doch sie sassen nicht im Gerichtssaal. Beide waren krankgeschrieben. So kam es, dass neben Peter Wullschleger und der Gerichtsschreiberin nur die Anwältin des Beschuldigten im Saal des Bezirksgerichts Zofingen sass. Ihm sei es «langsam verleidet», sagte der Gerichtspräsident und konnte seinen Ärger für einen Moment nicht verstecken.
Trotzdem wollte er die Verhandlung durchführen und forderte die Anwältin des Beschuldigten auf, ihr Plädoyer zu halten. Diese holte zunächst zu einem Rundumschlag gegen die Staatsanwaltschaft aus. Die Strafuntersuchung sei «miserabel geführt» worden und habe «ewig gedauert». Das Verfahren hätte längst eingestellt werden müssen. Ausserdem habe die Staatsanwaltschaft weder abgeklärt, ob die Produkte überhaupt Arzneimittel seien, noch habe sie die Personen, welche die Produkte damals gekauft hatten, befragt. Ihrem Mandanten könne gar nichts nachgewiesen werden, weil entsprechendes Beweismaterial fehle. Seine ehemalige Partnerin sei alleinige Inhaberin des Unternehmens gewesen, das die Produkte über eine Website zum Verkauf anbot.
Während die Staatsanwaltschaft für den Beschuldigten eine bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 120 Franken sowie eine Busse von 2300 Franken forderte, verlangte seine Anwältin einen Freispruch. Sollte das Gericht dennoch zum Schluss kommen, dass ihr Mandant schuldig sei, so müsse es berücksichtigen, dass viele der ihm vorgeworfenen Straftaten bereits verjährt seien und die Strafe entsprechend «massiv» zu reduzieren wäre.
Die Staatsanwaltschaft bestreitet die Vorwürfe der Verteidigerin. Sie würden den «üblichen Vorbringungen entsprechen». Zur langen Dauer teilt Mediensprecherin Fiona Strebel mit, dass das Verfahren nicht nur die vor Gericht verhandelten Straftaten umfasse. Die Strafanzeige gegen den Beschuldigten sei bei der Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2015 eingegangen, «nachdem es durch die Behandlung mit den angebotenen Produkten zu Problemen gekommen sein soll». Im Zuge dieses Verfahrens sei die Staatsanwaltschaft auf weitere mutmassliche Straftaten gestossen und habe das vorliegende Verfahren eröffnet und dieses auch auf die zweite Beschuldigte ausgedehnt. Im Oktober 2017 wurde das Verfahren wegen Körperverletzung eingestellt, weil sich «keine Kausalität zwischen der Körperverletzung und den verkauften Produkten beweisen liess», sagt Strebel.
Am 12. September 2017, mehr als zwei Jahre nach der Strafanzeige, flatterte den beiden Beschuldigten doch noch ein erster Strafbefehl ins Haus. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen Widerhandlungen gegen das Lebensmittelgesetz und gegen das Heilmittelgesetz vor. Gegen diesen Strafbefehl wehrten sie sich. Laut Strebel machten sie geltend, es sei fälschlicherweise das per 1. Mai 2017 revidierte Lebensmittelgesetz angewandt worden, richtigerweise hätte das davor geltende Recht angewandt werden müssen. «Dies war tatsächlich der Fall», räumt Strebel ein. Daher sei am 12. Februar 2018 ein neuer Strafbefehl ausgestellt worden.
Die Staatsanwaltschaft warf den beiden wiederum Widerhandlungen gegen das Lebensmittelgesetz und das Heilmittelgesetz vor, und sie wehrten sich erneut. Dass das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits Jahre dauerte, half den Beschuldigten. Die Übertretungstatbestände gegen das Lebensmittelgesetz waren verjährt und wurden deshalb Anfang Mai 2018 eingestellt, wie Strebel sagt. Am 23. Mai 2018 erging schliesslich der dritte Strafbefehl. Übrig geblieben sind die Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz. Doch auch diese konnte das Gericht diese Woche nicht beurteilen, weil die beiden Verfahren zusammenhängen. Es wird deshalb zu einer weiteren Verhandlung kommen, bei der sich auch noch die Beschuldigte und ihr Anwalt zu den Vorwürfen äussern können.