Muri will zum kulturellen Zentrum der Region werden. Der neue Saal für Kammermusik ist ein Versprechen, das eingelöst werden muss.
Wo einst gelesen wurde, soll heute kräftig musiziert werden. Aus dem einstigen Lesesaal im Singisenflügel im Kloster Muri wurde ein feiner Saal für Kammermusik.
Die Architektin Anja Thor vom Büro GIPA begleitet das Projekt in Muri seit vielen Jahren, 2013 begann der Umbau des Klostermuseums, es folgte der Ausbau des privaten Büchermuseums sowie des Caspar-Wolf-Museums auf der ersten Etage. Der Kammermusiksaal schliesst nun den Kreis, so Thor:
«Es war schon immer ein Gebäude mit vielen Nutzungen, sogar das Steueramt war einst unter diesem Dach. Mit dem Umbau ist es von einem ‹Ort der Pflichten› zu einem ‹Ort der Kultur und Freude› geworden.»
Die Räume wurden zuvor mehrfach renoviert, zuletzt in den 90er-Jahren. «Stuckstrukturen an den Aussenwänden haben aber erahnen lassen, dass es einst einen Saal an dieser Stelle gegeben hat», so Thor. «Mit Unterlagen vom Denkmalschutz galt es, diesen wieder auszuarbeiten. Erst bei den Abbrucharbeiten entdeckten wir, dass wir einen Raum ohne Stützen würden bauen können. Das war eine fantastische Überraschung.» So konnte der Singisen-Saal in seine ursprüngliche Form des 17. Jahrhunderts zurückgeführt werden.
Die Architekten haben daraus gemeinsam mit Akustikern und den Innenausstattern von Ligno einen eleganten Saal gebaut, der sich bescheiden gibt. Den Boden deckt dunkles Parkett, die Technik verbirgt sich unter der dezent verzierten und, natürlich, Akustik optimierenden Modulardecke.
«In den bisherigen Etappen zu den Ausstellungsräumen ging es vor allem darum, optimale Bedingungen für die Exponate zu schaffen», erzählt die Architektin, «für Konzerte darf es im Singisen-Saal nun auch festlich werden.» Auf den 170 Quadratmetern finden knapp 100 Personen Platz, die Bühne kann je nach Bedarf umgebaut werden. Konferenzen, Ausstellungen oder Lesungen können hier also ebenso stattfinden. Nur sollte aus Flexibilität keine Unentschlossenheit werden. Der Charakter des Raumes muss erarbeitet – besser noch – erspielt werden.
«Ein Saal, der Massstäbe setzen wird», heisst es selbstbewusst im Programm. Nach dem hochkarätig programmierten Eröffnungsfestival wird der Saal allerdings erst wieder im November musikalisch bespielt.
Braucht Muri also einen Konzertraum für 1,5 Millionen, der nach der Eröffnung im ersten Jahr nur für zwei weitere Konzerte genutzt wird? Renato Bizzotto, künstlerischer Leiter von «Musik im Festsaal», ist überzeugt: «Mit dem Singisen-Saal sind wir unabhängig.» Es sei nicht immer einfach gewesen, Räume zu bekommen, die den Ansprüchen gerecht werden. Bizotto sagt:
«Der bestehende Festsaal ist optimal für grosse Besetzungen und Orchester. Kammermusik spielt man aber lieber in einem kleineren Saal, den man dafür voll besetzen kann. Und – das hat uns Corona gelehrt – in dem man Konzerte auch zwei Mal hintereinander spielen kann.»
Der Umbau wurde zu grossen Teilen vom Swisslos-Fonds sowie der Stiftung für klassische Musik Muri getragen.
Nun, in Sichtweite zum neuen Hotel Caspar aus der Feder von Architektin Tilla Theus, habe man optimale Bedingungen, die man ausnutzen wolle: «Es wird ein jährliches Frühlingsfestival geben, 2023 mit Sebastian Bohren als Residenzkünstler. Auch die etablierten Formate wie Muri Masterclasses und Muri Competition, Young-Artist-Konzerte und weitere Kammermusikkonzerte werden hier stattfinden», so Bizzotto.
Das Frühlingsfestival in diesem Jahr ist sogleich die offizielle Eröffnung. Renato Bizzotto hat ein vielfältiges Programm zusammengestellt: «Es soll das ganze Spektrum des neuen Saals zeigen. Das Duo Zephyr kommt mit Violine und Harfe, die Welt des Pianos eröffnen grosse Namen wie Fazıl Say, Claire Huangci sowie der Lokalstar von internationalem Format Oliver Schnyder mit seinem Trio.»
Letzterer ist massgeblich für den neuen Klang in Muri verantwortlich. Oliver Schnyder hat den Flügel für den Saal ausgewählt, fündig wurde er in Hamburg: «Spitzeninstrumente wie die von Steinway & Sons sind objektiv alle gleich gut, wenn sie frisch vom Stapel kommen. Doch gibt es bei jeder Auswahl ein Instrument, das einen ganz besonderen Charakter offenbart: Es reagiert nicht nur, sondern inspiriert den Pianisten: Es ist wie in der Liebe…», erzählt Schnyder, der sich auf die neue Spielstätte in Muri freut. «Das ist eine grosse Chance für Muri mit seiner musikalischen Vielfalt – und für den gesamten Kulturstandort Schweiz.»
Diese Chance muss Muri nun packen. Denn für einen Seminarraum allein braucht es weder Flügel noch Akustikdecke.
Kammermusikfestival Frühlingserwachen: 18.–20.3., Singisen-Saal, Muri.