Aarau
Gewerbeverband – ein würdiger Mieter fürs Wehrli-Haus

Einst wurde im Wehrli-Haus Zuckergebäck verkauft – das passt zum neuen Sitz des Aargauer Gewerbeverbandes, der Anfang Februar von Zofingen nach Aarau kam.

Hermann Rauber
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Das Wehrlihaus an der Ecke Entfelder-/Gönhard-/Jurastrasse. kus

Das Wehrlihaus an der Ecke Entfelder-/Gönhard-/Jurastrasse. kus

Anfangs Februar ist die Geschäftsstelle des Aargauischen Gewerbeverbandes (AGV) von Zofingen in die Kantonshauptstadt nach Aarau gezügelt worden. Die neue Adresse des «Gewerbehauses» heisst Entfelderstrasse Nr. 19 – nur einen Steinwurf vom Sitz der Aargauischen Industrie- und Handelskammer entfernt. Der Verband residiert im so genannten Wehrli-Haus, das über Jahrzehnte eine Bäckerei und Konditorei beherbergte.

Hans Rudolf Wehrli, der in der markanten Liegenschaft aufgewachsen ist, hat seine Erinnerungen aufgeschrieben, die auch in der jüngsten Nummer der Verbandszeitung «Aargauer Wirtschaft» publiziert worden sind.

Eine eigentliche KMS-Saga

Der historische Hintergrund der neuen Geschäftsstelle passt ausgezeichnet zum Gewerbeverband: Mit der Übernahme der Bäckerei an der Entfelderstrasse durch Fritz und Hilde Wehrli im Februar 1935 begann eine «KMU-Saga», die fast vier Jahrzehnte dauern sollte.

Fritz Wehrli war ein Sohn des gestrengen Stadtkassiers Hans Wehrli und wollte eigentlich Kunstmaler werden. Weil der Vater dies als «brotlos» taxierte, lebte Fritz laut seinem Sohn Hans Rudolf Wehrli «seine schöpferische Begabung zeitlebens als Konditor aus». Nach Lehr- und Wanderjahren kehrte Fritz Wehrli mit seiner jungen Frau Hildegard, einer arbeitsamen und fröhlichen Wirtstochter aus Marbach am Neckar, der Geburtsstadt von Friedrich Schiller, nach Aarau zurück.

Eins bekannt durch den «Gönhard-Rehrücken»

Rasch wurden die Produkte aus der Backstube und der Confiserie von Fritz Wehrli in der Stadt und darüber hinaus bekannt. Für Entzückung sorgten namentlich die Schokoladen-Spezialitäten wie «Trumpf», «Rüebliländer» oder «Ziegelsteinli». Geradezu legendär war der «Gönhard-Rehrücken», ein länglicher Cake, reichlich mit Kirsch getränkt.

Wehrli belieferte nicht nur zahlreiche Restaurants in der Stadt, er sorgte mit seinen hausgemachten Desserts auch am Maienzug-Bankett oder an den Pferderennen im Schachen für Furore.

Während Fritz Wehrli in der Backstube und in der Confiserie und Glacerie wirkte, stand Hildegard an der «Front», im Laden und im Tea Room (im Parterre rechts vom Haupteingang). Bei schönem Wetter konnte man sich an zwei Tischen auf einer kleinen Terrasse verlustieren, im Innern standen 25 Plätze zur Verfügung, die meistens ausgebucht waren.

Dort vergnügten sich vor allem Damen aus dem Gönhardquartier, aber auch aus dem nahen Zelgli oder dem Binzenhof, an den stadtbekannten Erdbeertörtchen. Sohn Hans Rudolf Wehrli erinnert sich an das «souveräne und umsichtige Schwabenmädel», das über fast vierzig Jahre «ausnahmslos jeden Abend die Kasse machte», wobei man sich anfänglich keinen Ruhetag gönnte.

Das kleine «Einkaufszentrum»

Die «strategische Lage» des Wehrli-Betriebs war damals optimal, das Haus stand einer natürlichen Pforte gleich am Schnittpunkt von Entfelderstrasse und Gönhardweg, gegenüber der damaligen WSB-Haltestelle Buchenhof. Zusammen mit der benachbarten Metzgerei Lauper an der Jurastrasse bildete die Konditorei Wehrli ein kleines «Einkaufszentrum» für Güter des täglichen Bedarfs.

«Es ist nicht ohne Tragik, dass die Eltern zwar drei stämmige Söhne hatten, aber schliesslich keiner das Geschäft übernahm», hält Hans Rudolf Wehrli fest, der in Oberrohrdorf die HRW Werbeagentur führt, die unter anderem 1998 beim 200-Jahr-Gedenken der Helvetik das Logo «Allons-y, Argovie!» kreierte.

So gaben Wehrlis das Geschäft altershalber und mit schwerem Herzen 1973 auf und genossen bis zu ihrem Tod den Ruhestand. Die Tatsache, dass Fritz Wehrli viele Jahre lang Vizepräsident des Aargauischen Konditormeisterverbandes war, schlägt den symbolischen Bogen zur neuen Nutzung der Liegenschaft. Offiziell eröffnet wird das Gewerbehaus in Aarau am 25. Februar.